Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Urkundenbeweis. 971 
welchem auch die gesetzliche Beweistheorie nur die Kraft eines Indiziums zuerkannte. 
Die Vergleichung setzt nicht sowol besondere Fachkenntnisse voraus, als eine durch 
häufiges Lesen von Handschriften erworbene Uebung, welche sich bei Archivaren, 
Buchhaltern u. s. w., aber auch beim ständigen Richter selbst nicht selten findet. Es 
muß dabei bedacht werden, daß sich die Handschrift derselben Person auch in kürzeren 
Zeiträumen bei weitem nicht vollständig gleichbleibt und daß hier Irrthümer über 
die Identität noch bei weitem häufiger sind als betreffs der Identität der Person. 
Für den Strafprozeß kann übrigens nicht blos eine Originalurkunde, sondern auch 
eine Abschrift Bedeutung haben. Es kann gerade eine Abschrift, welche für das 
Original ausgegeben wurde, Mittel zur Begehung eines Betrugs gewesen, es kann 
der Beweis, daß die Abschrift einer hochverrätherischen oder einer Schmähschrift von 
einer bestimmten Person herrühre, geradezu wesentliche Voraussetzung für den Beweis 
der Schuld derselben sein. 
II. Das Prinzip der Unmittelbarkeit fordert, daß die Vorlegung bzw. Verlesung 
von Urkunden in der Hauptverhandlung nicht an die Stelle von Vernehmungen 
tritt, daß also nicht das mündliche Geständniß oder Zeugniß durch schriftliches 
Geständniß oder Zeugniß ersetzt werde. Dagegen wird allerdings Vorlegung von 
Urkunden nothwendig, wenn diese dazu dienen sollen, den Beweis durch richterlichen 
Augenschein zu ermöglichen, also dann, wenn mittels der Urkunde das Verbrechen 
verübt wurde (wie bei schriftlichen Aufforderungen, Beleidigungen, Vorspiegelungen 2c.) 
oder die Urkunde Gegenstand des Verbrechens war (wie bei Urkundenfälschungen). 
Indessen sieht man sich genöthigt, auch noch außerdem in verschiedenen Fällen Ver- 
lesung von Urkunden in der Hauptverhandlung zu gestatten. Nach unserer Straf P. 
kommen dabei folgende Bestimmungen in Betracht: 
1) Der § 248 bestimmt zunächst ganz allgemein, daß Urkunden und andere 
als Beweismittel dienende Schriftstücke in der Hauptverhandlung verlesen werden. 
Allein dies gilt hauptsächlich nur von den weiterhin in demselben § erwähnten 
früher ergangenen Strafurtheilen, von Straflisten und Auszügen aus Kirchenbüchern 
und Personenstandsregistern sowie Protokollen über die Einnahme des richterlichen 
Augenscheins; nicht minder auch von jenen, oben von uns erwähnten Urkunden und 
Schriftstücken, welche als Mittel, Gegenstand oder Produkt des Verbrechens mit dem 
alten Ausdruck corpus delicti bezeichnet werden können. — Dem Vorsitzenden ist 
auch (zufolge des Erk. des Reichsger. vom 2. Oktober 1880 — Rechtspr. II. 
S. 595 ff.) gestattet, soweit nicht Verlesung erforderlich ist, Mittheilungen aus Bei- 
lageakten zu machen, sowie es (nach einem Erk. des Reichsger. vom 4. November 
1880 — Rechtspr. II. S. 452) nicht gegen § 248 verstößt, wenn der Vorsitzende, 
falls sämmtliche Akten eines Prozesses und nicht blos einzelne Aktenstücke als Be- 
weismittel bezogen werden, nur über deren Inhalt referirt. Ja dem Vorsitzenden 
ist, wie ein Erk. des Reichsger. vom 6. Dezember 1880 (Rechtspr. II. S. 608 ff.) 
ausführt, auch nicht verwehrt, über den Inhalt anderer nicht als Beweismittel be- 
zeichneter Schriftstücke aus den Akten zu referiren, falls hiergegen kein Einwand er- 
hoben und kein Beweisantrag bezugs dieser Schriftstücke gestellt worden ist. 
2) Besondere Vorschriften gelten bezugs der Verlesung von Protokollen über 
Vernehmungen. Vor Allem stellt der § 249 den schon erwähnten Grundsatz auf, 
daß die Vernehmung einer Person nicht durch Verlesung des Protokolls über eine 
frühere Vernehmung oder einer schriftlichen Erklärung ersetzt werden darf. Eine 
Ausnahme hiervon findet sich aber in der singulären Vorschrift des § 71, nach 
welchem die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie 
die Mitglieder der fürstlichen Familie Hohenzollern in ihrer Wohnung zu vernehmen 
sind und das Protokoll über ihre Vernehmung in der Hauptverhandlung zu verlesen ist. 
Auch abgesehen hiervon zwingen die Verhältnisse oft zu einer Abweichung von dem 
Prinzip der Unmittelbarkeit, so sehr die Straf P O. mit Recht dasselbe soweit als 
möglich festzuhalten sucht. Darum gestattet der § 250, daß das Protokoll über die
	        
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