Urkundenprozeß. 977
Sowol die U. im engeren Sinne als die intellektuelle U. unterliegt einer stren-
geren Behandlung, wenn die Absicht darauf gerichtet ist, entweder sich einen Ver-
mögensvortheil mit Verletzung fremder Rechte zuzuwenden, oder aber Dritte an
ihrem Vermögen rechtswidrig zu schädigen. Diese qualifizirte U. wird (von mil-
dernden Umständen abgesehen) mit Zuchthaus und, fakultativ, mit Geldstrafe be-
droht, wobei für die auf öffentliche Urkunden Bezug habenden Fälschungshandlungen
höhere Maxima und, was die Geldstrafen betrifft, höhere Minima aufgestellt werden.
Die nichtqualifizirte mit Gefängniß (die intellektuelle U. seitens des Nichtbeamten in
alternativer Verbindung mit Geldstrafe) und, fakultativ, mit Verlust der bürger-
lichen Ehrenrechte. Komplizirte Abstufungen und Unterscheidungen haben Frankreich
und Belgien. Ausgezeichnet ward mehrfach die Fälschung von Wechseln und kauf-
männischen Kreditbriefen (Ungarn), sowie die von Testamenten (ehedem Hessen,
Württemberg, Baden). — Einige Gesetze koordinirten die U. in Bezug auf die Be-
gehung unter Verwandten, den Strafantrag des Verletzten, die freiwillige Ersatz-
leistung und andere Punkte dem Diebstahle und Betruge (ehedem Baden 476 ff.;
Württemberg 360, 61; Hessen 398). Der Natur dieses Verbrechens, welches in
allgemeinen gesellschaftlichen Interessen seinen unmittelbaren Gegenstand hat, ent-
spricht dies nicht.
Das RStraf GB. behandelt im Abschnitt von den U. auch die, juristisch völlig
anders geartete, Vernichtung, Unterdrückung und Beschädigung von Urkunden zum
Zweck der Benachtheiligung Anderer (vgl. Bayern 183. 84. 316, 4; Oesterreich
201 a). — Ferner die Verrückung von Grenzsteinen, worüber f. d. Art. Grenzver-
rückung. — Ferner Fälschungshandlungen in Bezug auf Stempelpapier, -Marken,
Blankete und Abdrücke, Post= und Telegraphen-Freimarken und gestempelte Brief-
couverts. Dieselben sind übrigens den Münzverbrechen näher verwandt als der U.,
womit es in Einklang steht, daß die in rechtswidriger Absicht erfolgende Anfer-
tigung betreffender Stücke ohne Rücksicht auf eine bereits erfolgte Verwendung als
vollendetes Delikt behandelt wird. Den fraglichen Fälschungshandlungen wird die
betrügerische Verwendung bereits gebrauchter Stücke zur Seite gestellt.
Gsgb. u. Lit.: Deutsches StrafGB. 8§ 267—80, 348, 49. — Oesterreich §8 199 d,
201 a. — Ungarn §§ 391—407.— Belgien art. 193—214. — Frankreich art. 145—165.—
Holtzendorff, Handb., III. S. 784—812; IV. 441—50 (Merkel) — v. Buri im
Geree, XXVIII. S. 36—34. — Abhdl. in Goltdammer' s Arch. — Kafuistik bei Oppenhoff
und in der Théorie du Code pénal von Hélie und Chauveau. — Pezold, Strafrechts-
praxis, I. S. 399—422, 471; II. 448—488, 560—567. — Dalloz, Traité du faux. —
S. im Uebrigen den Art. Betrug. A. Merkel.
Urkundenprozeß (v. Bar, Th. I. Suppl. S. 73) nennt die Deutsche CPO.
ein beschleunigtes landgerichtliches oder amtsgerichtliches Verfahren, in welchem der
Kläger auf sofortigen urkundlichen Beweis aller zur Begründung seines Anspruchs
erforderlicher Thatsachen und unter Beschränkung des Beklagten auf sofortige Liqui-
dirung seiner Einwendungen durch Urkunden oder Eidesdelation ein vorläufig voll-
streckbares Urtheil erlangt, vorbehältlich der Befugniß des Beklagten, in einem sich
dem U. anschließenden, unverkürzte Kognition gestattenden Nachverfahren das in Folge
des Urtheils Geleistete zurückzufordern und seine Rechte überhaupt, namentlich auch
im Wege der Widerklage, zu verfolgen. Seinen Grundverhältnissen nach gewöhn-
liches landgerichtliches oder amtsgerichtliches Verfahren entnimmt der U. seine exe-
kutivischen Besonderheiten dem gemeinrechtlichen Exekutivprozeß. Während dieselben
aber im Gemeinen Recht auf der in der Urkunde enthaltenen Exekutivklaufel beruhen,
welcher später ein in der Urkunde enthaltenes Zahlungsversprechen gleichgestellt worden.
ist, gewährt die Deutsche CP O. den U. für alle vollständig verbrieften Ansprüche,
ohne daß etwas darauf ankäme, ob der Anspruch ein vertragsmäßiger, aus der
Urkunde zuständiger oder ob er sonstiger Art sei, so daß also auch dingliche An-
sprüche in dieser Prozedurart geltend gemacht werden können. Während nach dieser
Seite hin eine Erweiterung der exekutivischen Prozedurart im U. gegenüber dem
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 62