Urtheil. 983
scheidung jetzt im mündlichen Verfahren wieder deutlicher hervor, nicht blos wegen
der erhöhten Wichtigkeit der Form überhaupt, sondern auch weil sie für den weiteren
Rechtsmittelzug maßgebend ist, da im Allgemeinen das auf Grund mündlicher Ver-
handlung ergangene U. (mindestens im Hauptpunkte) nur auf Grund einer münd-
lichen Verhandlung vor der höheren Instanz und wieder in Form des U. ab-
geändert werden soll, während andere Beschlüsse auf Grund der Akten und schrift-
licher Beschwerden in berathender Sitzung überprüft werden. Diese Regel er-
leidet allerdings Ausnahmen in Fällen, wo die Voraussetzungen einer kontra-
diktorischen Verhandlung entfallen sind; so kann auf dem Wege der Wiederaufnahme
das U. zu Gunsten des Verurtheilten ohne mündliche Verhandlung geändert werden
(Deutsche StrafPO. § 411, Oesterr. §8§ 360 u. 363), und nach Oesterreich.
Strafprozeßrechte (Gesetz vom 31. Dezbr. 1877) auf Grund einer schriftlichen
Nichtigkeitsbeschwerde unter Umständen zu Gunsten des Angeklagten sofort die
Wiederholung der Hauptverhandlung angeordnet werden. Von den im Rechtemittel-
zuge ergehenden Urtheilen wird übrigens im Folgenden abgesehen, weil die Besonder-
heiten derselben nur im Zusammenhange mit der Darstellung der Rechtsmittel selbst
besprochen werden können. Aber auch für das Verfahren in erster Instanz ist die
Regel: „Kein U. ohne Hauptverhandlung, keine Hauptverhandlung ohne u." —
keine ausnahmslose. Vor Allem zeigt die Deutsche Strafp O. eine ausgesprochene
Ausnahme in dem Falle, wo das urtheilende Gericht sich in der Lage sieht, sich für
inkompetent erklären zu müssen. Soweit es sich um die örtliche Zuständigkeit
handelt, ist der gegen dieselbe erhobene (wenn überhaupt noch zulässige) Einwand
an den Zeitpunkt bis zur Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Haupt-
verfahrens gebunden (StrasP O. § 16); in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit
ist im § 270 der StrafP O. einerseits ausgesprochen, daß sie nach dem „Ergebnisse
der Verhandlung“ geprüft werden muß (s. übrigens unter III.), und andererseits,
daß das Gericht, wenn es findet, daß die Sache vor ein höheres Gericht gehöre,
seine Unzuständigkeit „durch Beschluß“ auszusprechen habe, welchem Ausspruch die
Wirkung eines die Hauptverhandlung eröffnenden Beschlusses beigelegt wird, und
welcher auch in Bezug auf Inhalt und Anfechtbarkeit einem solchen — also nicht
einem Urtheil — gleichzuhalten ist. Nach der Oesterr. Straf PO. erfolgt dieser
Ausspruch durch U. (bestritten) und ist durch Nichtigkeitsbeschwerde des Anklägers
wie des Angeklagten anfechtbar (§8 262, 281 Z. 6, 287 Abs. 2 Z. 2). — Die
Natur der Sache bringt es aber mit sich, daß noch andere Fälle eintreten können,
in welchen die Hauptverhandlung ohne U. abschließt, d. h. nicht blos eine Unter-
brechung erleidet, um nach kurzer Zeit fortgesetzt zu werden, sondern in der Weise
abgebrochen wird, daß, wenn überhaupt eine Hauptverhandlung in der Sache vor
sich zu gehen hat, diese eine ganz neue ist. Alle jene zahlreichen Umstände, welche,
vor der Eröffnung des Hauptverfahrens (vgl. insbes. Deutsche StrasP O. § 203 über die
vorläufige Einstellung) oder der Hauptverhandlung hervortretend, sich schon
dieser widersetzen, können auch die Nothwendigkeit des Abbruches herbeiführen (ogl.
d. Art. Hauptverhandlung, BRBd. II. S. 291, 292). Die meisten dieser
Gründe sind äußerlicher Natur, von der besonderen Beschaffenheit des vorliegenden
Falles ganz unabhängig, wie z. B. Tod des Angeklagten, schwere Erkrankung des-
selben, Wegfall eines Richters oder Geschworenen, ohne daß eine Ergänzung möglich
ist, Entdeckung eines Umstandes, welcher die Vernichtung des bisherigen Verfahrens
und alles dessen, was sich darauf stützen würde, unvermeidlich macht. In solchen
Fällen ist der Abbruch der Hauptverhandlung, und zwar manchmal ein ganz form-
loser (z. B. wegen Beschlußunfähigkeit des Gerichtes) durch die Sachlage so geboten,
daß darüber kein Zweifel bestehen kann. In anderen Fällen wird er zwar nicht
ohne besondere Rücksicht auf die Beschaffenheit der anhängigen Strafsache erfolgen
können; es wird aber andererseits auch außer Zweifel stehen, daß eine endgültige
Entscheidung noch nicht erfolgen kann; so wenn neue Beweiserhebungen für nöthig