Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Urtheil. 987 
Auch die U., welche die Schuld des Angeklagten feststellen, sind übrigens einander 
nicht völlig gleich. Von der Regel nämlich, daß an die Schuldigerklärung die Ver- 
hängung einer Strafe zu knüpfen sei, muß in gewissen Fällen abgewichen werden; 
dann nämlich wenn wegen Kompensation von gegenseitigen Beleidigungen und Körper- 
verletzungen der Richter den Angeklagten für „straffrei“ erklärt (Deutsches Straf- 
GB. § 199) oder „bkeine Strafe eintreten läßt“ (Deutsches Straf GGB. § 233). Das- 
selbe tritt bei der nach § 7 des Deutschen Straf GB. vorgeschriebenen Anrechnung 
der im Auslande erlittenen Strafe im Inlande ein, wenn der Richter erachtet, daß 
bei dieser Anrechnung ein weiteres Strafübel nicht mehr erübrigt, ebenso bei An- 
wendung des § 60 des Deutschen Straf GB., obgleich die Worte „ganz oder theil- 
weise"“ sich dort auf die Untersuchungshaft beziehen. (Nach Oesterreichischem Recht 
kann der gleiche Fall bei Anwendung des § 36 des Straf GB. eintreten. Hye, 
Das Oesterreichische Straf#SB., I. S. 518.) Die Kehrseite eines solchen Schuld- 
spruches ohne Strafverhängung bildet die nach § 37 des Deutschen StrafGB. ein- 
tretende Entscheidung über die bloßen Ehrenfolgen einer im Auslande ergangenen 
Verurtheilung. 
III. Verhältniß des U. zur Anklage. Schpwierige Fragen entstehen 
aus der möglichen Abweichung der Ergebnisse der Hauptverhandlung von der An- 
klage. Da das Gericht die letztere eben auf Grund der ersteren, wie sie sich ihm 
darstellen, beurtheilen soll, versteht es sich von selbst, daß es an letztere nicht 
gebunden, also verpflichtet ist, sie zurückzuweisen, wenn sie sich in der Hauptver- 
handlung nicht bewährte. Mitunter (und gerade in primitiven Zuständen des Straf- 
verfahrens) ist aus diesem unbestreitbaren Satze die Folgerung gezogen worden, das 
Anklageprinzip verlange, daß Freisprechung erfolge, sobald sich zeige, daß die Anklage 
nicht Wort für Wort, in jeder Einzelheit“ sich als richtig erweist, nicht genau so, 
wie sie lautet, in das U. des Gerichtes übergehen kann. Eine solche Auffassung 
würde aus dem auf dem Anklageprinzip ruhenden Strafprozeß ein frivoles Spiel 
machen oder den Ankläger nöthigen, durch Häufung der mannigfaltigsten Eventual- 
anklagen eine unerträgliche Schwerfälligkeit in den Strafprozeß zu bringen. Der 
moderne Anklageprozeß leitet zudem seine Berechtigung nicht aus dem individuellen 
Interesse des Anklägers ab, da er die öffentliche Natur des Strafrechtes nicht ver- 
leugnet, sondern aus der Gefahr, welche für die Unbefangenheit des erkennenden 
Gerichtes daraus entstünde, wenn es über eine durch seine eigene Initiative heran- 
gezogene Strafsache urtheilen sollte. Wenn nun überdies, wie dies nach der Deutschen 
Straf PO. der Fall ist, die der Hauptverhandlung zu Grunde liegende Anklage ihre 
Fassung durch den Beschluß eines Richterkollegiums erhält, dessen Einfluß auf 
die Sache mit dieser blos die nächsten Schritte vorbereitenden Aktion sein Ende 
erreicht, so kann wol davon nicht die Rede sein, daß aus Achtung vor den Rechten 
des Anklägers das erkennende Gericht nur die Macht haben dürfe, die Anklage, 
wie sie lautet, anzunehmen oder zu verwerfen. (Wo eige selbständige Prozeßstellung 
des Anklägers anerkannt wird, muß man ihm übrigens das Recht lassen, vor der 
Urtheilsfällung von der Anklage zurückzutreten.) Für die Regelung des Verhält- 
nisses des U. zur Anklage ist daher maßgebend: daß im Interesse seiner eigenen 
Unbefangenheit das erkennende Gericht nicht eine That verfolgen darf, die es selbst 
erst hervorgesucht hat und zum Gegenstande der Verhandlung und Aburtheilung macht. 
Eben darum liegt das Wesen der Anklage, gleichviel wer deren Träger ist, darin, 
daß ein bestimmter Vorgang zur Kenntniß des Strafrichters mit der Behauptung 
gebracht wird, daß darin eine strafbare Handlung einer bestimmten Person liege. 
Wenn es nicht für genügend erachtet wird, daß die Anklage sich hierauf beschränkt, 
wenn insbesondere gefordert wird, daß die juristische Oualifikation der den Gegen- 
stand der Anschuldigung bildenden That angegeben werde, so hat dies seinen Grund 
darin, daß auf solche Weise sowol die Beschreibung der That, als die Vorbereitung 
der Prüfung und Erörterung derselben wesentlich erleichtert wird; das Wesentliche
	        
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