Urtheil. 987
Auch die U., welche die Schuld des Angeklagten feststellen, sind übrigens einander
nicht völlig gleich. Von der Regel nämlich, daß an die Schuldigerklärung die Ver-
hängung einer Strafe zu knüpfen sei, muß in gewissen Fällen abgewichen werden;
dann nämlich wenn wegen Kompensation von gegenseitigen Beleidigungen und Körper-
verletzungen der Richter den Angeklagten für „straffrei“ erklärt (Deutsches Straf-
GB. § 199) oder „bkeine Strafe eintreten läßt“ (Deutsches Straf GGB. § 233). Das-
selbe tritt bei der nach § 7 des Deutschen Straf GB. vorgeschriebenen Anrechnung
der im Auslande erlittenen Strafe im Inlande ein, wenn der Richter erachtet, daß
bei dieser Anrechnung ein weiteres Strafübel nicht mehr erübrigt, ebenso bei An-
wendung des § 60 des Deutschen Straf GB., obgleich die Worte „ganz oder theil-
weise"“ sich dort auf die Untersuchungshaft beziehen. (Nach Oesterreichischem Recht
kann der gleiche Fall bei Anwendung des § 36 des Straf GB. eintreten. Hye,
Das Oesterreichische Straf#SB., I. S. 518.) Die Kehrseite eines solchen Schuld-
spruches ohne Strafverhängung bildet die nach § 37 des Deutschen StrafGB. ein-
tretende Entscheidung über die bloßen Ehrenfolgen einer im Auslande ergangenen
Verurtheilung.
III. Verhältniß des U. zur Anklage. Schpwierige Fragen entstehen
aus der möglichen Abweichung der Ergebnisse der Hauptverhandlung von der An-
klage. Da das Gericht die letztere eben auf Grund der ersteren, wie sie sich ihm
darstellen, beurtheilen soll, versteht es sich von selbst, daß es an letztere nicht
gebunden, also verpflichtet ist, sie zurückzuweisen, wenn sie sich in der Hauptver-
handlung nicht bewährte. Mitunter (und gerade in primitiven Zuständen des Straf-
verfahrens) ist aus diesem unbestreitbaren Satze die Folgerung gezogen worden, das
Anklageprinzip verlange, daß Freisprechung erfolge, sobald sich zeige, daß die Anklage
nicht Wort für Wort, in jeder Einzelheit“ sich als richtig erweist, nicht genau so,
wie sie lautet, in das U. des Gerichtes übergehen kann. Eine solche Auffassung
würde aus dem auf dem Anklageprinzip ruhenden Strafprozeß ein frivoles Spiel
machen oder den Ankläger nöthigen, durch Häufung der mannigfaltigsten Eventual-
anklagen eine unerträgliche Schwerfälligkeit in den Strafprozeß zu bringen. Der
moderne Anklageprozeß leitet zudem seine Berechtigung nicht aus dem individuellen
Interesse des Anklägers ab, da er die öffentliche Natur des Strafrechtes nicht ver-
leugnet, sondern aus der Gefahr, welche für die Unbefangenheit des erkennenden
Gerichtes daraus entstünde, wenn es über eine durch seine eigene Initiative heran-
gezogene Strafsache urtheilen sollte. Wenn nun überdies, wie dies nach der Deutschen
Straf PO. der Fall ist, die der Hauptverhandlung zu Grunde liegende Anklage ihre
Fassung durch den Beschluß eines Richterkollegiums erhält, dessen Einfluß auf
die Sache mit dieser blos die nächsten Schritte vorbereitenden Aktion sein Ende
erreicht, so kann wol davon nicht die Rede sein, daß aus Achtung vor den Rechten
des Anklägers das erkennende Gericht nur die Macht haben dürfe, die Anklage,
wie sie lautet, anzunehmen oder zu verwerfen. (Wo eige selbständige Prozeßstellung
des Anklägers anerkannt wird, muß man ihm übrigens das Recht lassen, vor der
Urtheilsfällung von der Anklage zurückzutreten.) Für die Regelung des Verhält-
nisses des U. zur Anklage ist daher maßgebend: daß im Interesse seiner eigenen
Unbefangenheit das erkennende Gericht nicht eine That verfolgen darf, die es selbst
erst hervorgesucht hat und zum Gegenstande der Verhandlung und Aburtheilung macht.
Eben darum liegt das Wesen der Anklage, gleichviel wer deren Träger ist, darin,
daß ein bestimmter Vorgang zur Kenntniß des Strafrichters mit der Behauptung
gebracht wird, daß darin eine strafbare Handlung einer bestimmten Person liege.
Wenn es nicht für genügend erachtet wird, daß die Anklage sich hierauf beschränkt,
wenn insbesondere gefordert wird, daß die juristische Oualifikation der den Gegen-
stand der Anschuldigung bildenden That angegeben werde, so hat dies seinen Grund
darin, daß auf solche Weise sowol die Beschreibung der That, als die Vorbereitung
der Prüfung und Erörterung derselben wesentlich erleichtert wird; das Wesentliche