990 Urthell.
daß der Angeklagte wegen einer strafbaren Handlung zu verurtheilen sei, bezüglich
welcher die Strafgewalt einem Gerichte höherer Ordnung zukommt. In diesem Falle
hat das Gericht sich der Aburtheilung über die That zu enthalten, zugleich
aber bezüglich derselben — der ihr von ihm beigemessenen juristischen Natur gemäß
— die Verrichtungen vorzunehmen, welche mit der Fassung des Beschlusses auf
Eröffnung des Hauptverfahrens zusammenhängen.
Aus diesen Grundsätzen folgt zunächst, daß in erster Linie das Gericht sich die
Ueberzeugung zu verschaffen hat, daß es ihm nicht möglich sei, seiner primären
Aufgabe definitiver Erledigung der Anklage gerecht zu werden. Abgesehen von
allem Anderen hat der Angeklagte, zumal wenn er in Haft ist, ein Recht auf so-
fortige Austragung der Sache und ein sehr großes Interesse daran, daß er nicht
durch längere Zeit noch hingehalten und von Gericht zu Gericht geschleppt werde.
Bloße Möglichkeiten, bloße Behauptungen sei es faktischer, sei es rechtlicher Natur
können das Gericht der hieraus erwachsenden Pflicht, seiner formell bereits begrün-
deten Zuständigkeit nicht entkleiden; es hat also die Sache soweit aufzuklären und
zu führen, daß es sich eine bestimmte Meinung über die Statthaftigkeit der faktischen
und rechtlichen Behauptungen bilden kann, vermöge welcher die That unter den
Gesichtspunkt eines seine Zuständigkeit überschreitenden Deliktes fallen soll. Ueber-
zeugt es sich, daß die That nicht begangen ist, daß sie dem Angeklagten nicht zur
Last gelegt werden kann, daß die Umstände nicht vorhanden sind, welche die Unter-
ordnung unter einen anderen Deliktsbegriff begründen, so hat es in der Sache selbst
das U. ebenso zu fällen, wie wenn es einen angeregten rein juristischen Zweifel nicht
sich anzueignen, die Behauptung nicht als richtig anzuerkennen vermag, daß die
That (unverändert so angenommen, wie dies im Beschluß auf Eröffnung des Haupt-
verfahrens geschah) unter einen anderen Deliktsbegriff falle. Es ist nicht richtig,
daß es über Hypothesen dieser Art deshalb nicht urtheilen dürfe, weil es nicht zu-
ständig wäre, über eine in gehöriger Form erhobene Anklage wegen jenes schwereren
Verbrechens zu urtheilen. Eine solche Anklage ist eben nicht da und im Gegen-
theile eine formell aufrecht stehende, unter seine Zuständigkeit fallende Anklage noch
zu erledigen. Dieser seiner Zuständigkeit müßte es, wäre der Satz richtig, daß ihm
ein auch negativer Ausspruch schon über die nur in Frage gestellte schwerere, strafbare
Handlung gar nicht zukomme, die bloße Anregung- der Rechtsfrage allein schon ent-
kleiden, also die bloße als unhaltbar von ihm sofort erkannte Behauptung genügen, um
die Hauptverhandlung zum Stillstande zu bringen. Ueberdies ist der ergehende Be-
schluß ja kein blos negativer: die Deutsche Strasp O. mißt ihm geradezu die Be-
deutung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses bei; insofern ist das er-
kennende Gericht mit der Sache doch mindestens in demselben Maße befaßt, wie das
das Hauptverfahren eröffnende; und da dieses jedenfalls berechtigt ist, seiner Ueber-
zeugung vom Nichtvorhandensein der thatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen
der Verurtheilung wegen des nun in Frage kommenden Verbrechens durch einen
Spruch Ausdruck zu geben, welcher der Hauptsache nach die Freisprechung enthält,
so kann diese Befugniß dem Gericht in der Hauptverhandlung wol auch nicht ab-
gesprochen werden. Der von einer Seite angeregten künstlichen Theilung seiner Funktion,
vermöge deren es auch den negativen Ausspruch nur in der Form des definitiven
Einstellungsbeschlusses (Straf# O. § 202) fällen sollte, sei damit nicht das Wort
geredet; der bloße Vortheil der Erleichterung der Wiederaufnahme, der daraus ab-
geleitet wird, vermag nichts daran zu ändern, daß sich die Sache bereits im
Stadium der mündlichen Hauptverhandlung befindet, und daß eine definitiv durch
U. zu erledigende Anklage vorliegt, während die Voraussetzung, unter welcher allein
das U. unterbleiben kann, ja eben durch den vorgeschlagenen „Beschluß" verneint
werden soll. Ueberall also, wo die Sache so liegt, daß das Gericht, hätte es über
die Eröffnung des Hauptverfahrens bezüglich des schweren Deliktes zu berathen, diese
nicht beschließen würde, fällt es das U. in der Sache, ohne sich durch die auf-