Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Urtheil. 991 
getauchte Kompetenzfrage von der Freisprechung (von der ursprünglichen Anklage) oder 
von der in seiner Kompetenz liegenden Verurtheilung abhalten zu lassen, und nimmt 
den Ausspruch über die Ablehnung des Antrages auf Erklärung der Unzuständigkeit 
nur in die Entscheidungsgründe auf. 
Aus dieser Auffassung der durch § 270 der Deutschen StrafP O. dem Gerichte 
gestellten Aufgabe ergiebt sich daher auch, daß als Regel die Durchführung der 
vollständigen Hauptverhandlung anzusehen sein wird. Nach zwei Seiten hin kann 
aber Anlaß zu einem abweichenden Vorgang gegeben sein: Es kann so stehen, daß 
der Umstand, welcher, festgestellt, unzweifelhaft die That der Zuständigkeit des Ge- 
richtes entrücken würde, weder als ausgeschlossen noch als festgestellt anzusehen ist, 
und daß es dazu neuer Beweiserhebungen bedarf, und zwar solcher, die nicht sofort 
erfolgen können. Es wäre nun widersinnig, die Hauptverhandlung auszusetzen und sie 
unter Nachholung der fraglichen Beweisaufnahme zu wiederholen. unter Umständen, wo 
zu erwarten ist, daß die wiederholte Hauptverhandlung mit einer Unzuständigerklärung 
schließen und nur den Uebergang zu einer dritten Hauptverhandlung bilden werde. 
Da nun die Verweisung an den Untersuchungsrichter ebensowenig als die Fortsetzung 
einer auf mehr als vier Tage ausgesetzten Hauptverhandlung zulässig ist, da ferner 
das Gericht nicht einen Thatumstand dadurch für beseitigt ansehen kann, daß er 
nicht in der Hauptverhandlung sofort festzustellen ist, bleibt wol nichts übrig als 
die Nichtzuständigkeit auszusprechen und die Erprobung des fraglichen Umstandes dem 
für das schwerere Delikt zuständigen Gericht zu überlassen. Wie steht es aber um- 
gekehrt, wenn schon in einem frühen Stadium der Hauptverhandlung zu Tage tritt, 
daß ein Umstand vorhanden ist, welcher die Sache unter den Gesichtspunkt eines die 
Zuständigkeit des Gerichtes überschreitenden Deliktes bringt? Oder wenn, was mir 
auf dasselbe hinauszukommen scheint, sich eine juristische Auffassung geltend macht, 
welche von der dem Eröffnungsbeschluß zu Grunde liegenden dadurch abweicht, daß 
sie einem der demselben zu Grunde liegenden Thatumstände diese Bedeutung beilegte? 
Ist es unbedingt nothwendig, daß das Gericht sich, den Parteien und den Aus- 
kunftspersonen die Durchführung einer Beweisaufnahme auferlegt, welche, wie schon 
jetzt für die Richter feststeht, würde wiederholt werden müssen? Mir schiene das 
nicht zweckmäßig, und ich würde es daher für pflichtmäßig nur dann halten, wenn 
es zweifellos wäre, daß es durch das Gesetz geboten sei. Nun fpricht allerdings 
das Gesetz davon, daß sich „nach dem Ergebnisse der Verhandlung“ die Unzustän- 
digkeit herausstellen müsse; aber daraus scheint mir nicht zu folgen, daß die „Ver- 
handlung“ den gleichen Umfang haben müsse, wie wenn es auf die definitive 
Erledigung der Anklage abgesehen wäre. Es kommen auch sonst Fälle vor, in 
welchen eine wesentliche Kürzung der Hauptverhandlung zulässig und nöthig ist 
(s. d. Art. Hauptverhandlung Bd. II. S. 291—293); das Gericht hat der Ver- 
handlung die Richtung zu geben, welche nöthig ist, damit der Spruch, welcher zu 
ergehen hat, vollständig vorbereitet sei; Verhandlungen aber, welche nach Lage der 
Sache ganz vergeblich geführt würden, ist es zu unterlassen mindestens berechtigt, 
gegenüber den Parteien und den durch die Verhandlung belästigten Zeugen auch ver- 
pflichtet. Aber allerdings verlangt das Gesetz eine „Verhandlung"“, und dies mit um so 
mehr Grund, weil sonst die Abweichung von dem die Grundlage der Verhandlung 
bildenden Beschluß (Eröffnungsbeschluß) ohne prozessualen Halt wäre. Dieser Beschluß 
ist das Einzige, was den Mitgliedern des Gerichtes, außer dem Vorsitzenden, von der 
Sache bekannt ist; er enthält nach § 205 der StrafP O. eine Anklageformel, in welcher 
die That „unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale“ bezeichnet, also zwar indi- 
vivualisirt, aber nicht in konkrete Umstände aufgelöst ist; die für wahrscheinlich er- 
achteten „Thatsachen, in welchen die gesetzlichen Merkmale gefunden werden“ (266), die 
Ergebnisse der Voruntersuchung u. f. w. finden sich darin nicht. Kaum jemals wird 
daher der bloße Wortlaut des Eröffnungsbeschlusses hinlängliche Anhaltspunkte bieten, 
um eine Differenz der Anschauungen über die Rechtsfrage klar hervortreten zu lassen
	        
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