Urtheil. 991
getauchte Kompetenzfrage von der Freisprechung (von der ursprünglichen Anklage) oder
von der in seiner Kompetenz liegenden Verurtheilung abhalten zu lassen, und nimmt
den Ausspruch über die Ablehnung des Antrages auf Erklärung der Unzuständigkeit
nur in die Entscheidungsgründe auf.
Aus dieser Auffassung der durch § 270 der Deutschen StrafP O. dem Gerichte
gestellten Aufgabe ergiebt sich daher auch, daß als Regel die Durchführung der
vollständigen Hauptverhandlung anzusehen sein wird. Nach zwei Seiten hin kann
aber Anlaß zu einem abweichenden Vorgang gegeben sein: Es kann so stehen, daß
der Umstand, welcher, festgestellt, unzweifelhaft die That der Zuständigkeit des Ge-
richtes entrücken würde, weder als ausgeschlossen noch als festgestellt anzusehen ist,
und daß es dazu neuer Beweiserhebungen bedarf, und zwar solcher, die nicht sofort
erfolgen können. Es wäre nun widersinnig, die Hauptverhandlung auszusetzen und sie
unter Nachholung der fraglichen Beweisaufnahme zu wiederholen. unter Umständen, wo
zu erwarten ist, daß die wiederholte Hauptverhandlung mit einer Unzuständigerklärung
schließen und nur den Uebergang zu einer dritten Hauptverhandlung bilden werde.
Da nun die Verweisung an den Untersuchungsrichter ebensowenig als die Fortsetzung
einer auf mehr als vier Tage ausgesetzten Hauptverhandlung zulässig ist, da ferner
das Gericht nicht einen Thatumstand dadurch für beseitigt ansehen kann, daß er
nicht in der Hauptverhandlung sofort festzustellen ist, bleibt wol nichts übrig als
die Nichtzuständigkeit auszusprechen und die Erprobung des fraglichen Umstandes dem
für das schwerere Delikt zuständigen Gericht zu überlassen. Wie steht es aber um-
gekehrt, wenn schon in einem frühen Stadium der Hauptverhandlung zu Tage tritt,
daß ein Umstand vorhanden ist, welcher die Sache unter den Gesichtspunkt eines die
Zuständigkeit des Gerichtes überschreitenden Deliktes bringt? Oder wenn, was mir
auf dasselbe hinauszukommen scheint, sich eine juristische Auffassung geltend macht,
welche von der dem Eröffnungsbeschluß zu Grunde liegenden dadurch abweicht, daß
sie einem der demselben zu Grunde liegenden Thatumstände diese Bedeutung beilegte?
Ist es unbedingt nothwendig, daß das Gericht sich, den Parteien und den Aus-
kunftspersonen die Durchführung einer Beweisaufnahme auferlegt, welche, wie schon
jetzt für die Richter feststeht, würde wiederholt werden müssen? Mir schiene das
nicht zweckmäßig, und ich würde es daher für pflichtmäßig nur dann halten, wenn
es zweifellos wäre, daß es durch das Gesetz geboten sei. Nun fpricht allerdings
das Gesetz davon, daß sich „nach dem Ergebnisse der Verhandlung“ die Unzustän-
digkeit herausstellen müsse; aber daraus scheint mir nicht zu folgen, daß die „Ver-
handlung“ den gleichen Umfang haben müsse, wie wenn es auf die definitive
Erledigung der Anklage abgesehen wäre. Es kommen auch sonst Fälle vor, in
welchen eine wesentliche Kürzung der Hauptverhandlung zulässig und nöthig ist
(s. d. Art. Hauptverhandlung Bd. II. S. 291—293); das Gericht hat der Ver-
handlung die Richtung zu geben, welche nöthig ist, damit der Spruch, welcher zu
ergehen hat, vollständig vorbereitet sei; Verhandlungen aber, welche nach Lage der
Sache ganz vergeblich geführt würden, ist es zu unterlassen mindestens berechtigt,
gegenüber den Parteien und den durch die Verhandlung belästigten Zeugen auch ver-
pflichtet. Aber allerdings verlangt das Gesetz eine „Verhandlung"“, und dies mit um so
mehr Grund, weil sonst die Abweichung von dem die Grundlage der Verhandlung
bildenden Beschluß (Eröffnungsbeschluß) ohne prozessualen Halt wäre. Dieser Beschluß
ist das Einzige, was den Mitgliedern des Gerichtes, außer dem Vorsitzenden, von der
Sache bekannt ist; er enthält nach § 205 der StrafP O. eine Anklageformel, in welcher
die That „unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale“ bezeichnet, also zwar indi-
vivualisirt, aber nicht in konkrete Umstände aufgelöst ist; die für wahrscheinlich er-
achteten „Thatsachen, in welchen die gesetzlichen Merkmale gefunden werden“ (266), die
Ergebnisse der Voruntersuchung u. f. w. finden sich darin nicht. Kaum jemals wird
daher der bloße Wortlaut des Eröffnungsbeschlusses hinlängliche Anhaltspunkte bieten,
um eine Differenz der Anschauungen über die Rechtsfrage klar hervortreten zu lassen