994 Urtheil.
umstände von der Feststellung und Beurtheilung auszuschließen, welche in den
so begeichneten Kreis der durch die Anklage ihm unterstellten Thatsachen nicht fallen.
4) Eine entscheidende Probe für die Nichtidentität des Gegenstandes der Anklage und
des U. bildet es, wenn sich zeigt, daß dieselben neben einander bestehen könnten und
salls sich beide bewähren, nicht unter den Gesichtsvunkt eines Deliktes oder der
idealen Konkurrenz fielen, sondern unter den der realen Konkurrenz.
Man bringt die hier erörterte Frage häufig unter den Gesichtspunkt der Klage-
änderung oder Anklagebesserung. Allein der Wille des Anklägers hat hier
gar keinen Einfluß; sicherlich hat er ihn nicht nach der Deutschen Strafp O., wo
der Staatsanwalt ja eine von ihm nicht ausgehende, von ihm nicht verfaßte An-
klage zu vertreten hat, von der er nichts fallen lassen, der er nichts hinzufügen
kann. Aber auch nach der Oesterr. StrafP O. kann der Staatsanwalt zwar seine
Anklage zurückziehen, aber eben nur mit der Wirkung, daß deren Gegenstand durch
ein zwar auf diesem formellen Grunde ruhendes, aber doch freisprechendes U.
endgültig erledigt wird. Er mag ferner Erklärungen abgeben, vermöge welcher er
auf das prozessuale Recht der Anklage, daß einzelne ihrer Behauptungen der Prüfung
und Urtheilsfällung unterstellt werden, verzichtet. Allein so lange er die Anklage
nicht ganz zurückzieht, bleibt sie das Objekt der freien und uneingeschränkten Prüfung,
des Richters und was nicht durch sie schon der letzteren unterstellt wurde, das kann
nicht durch nachträgliche Erklärungen ihr hinzugefügt werden. Wenn daher die Oesterr.
StrafP O. § 267 von der Ausdehnung der Anklage spricht, so kann dies nur auf
neue Thatsachen bezogen werden, welche den Gegenstand einer weiteren, erst in
der Hauptverhandlung erhobenen Anklage bilden (s. unten); das Recht des Gerichtes,
den Gegenstand der ursprünglichen Anklage nach allen Seiten frei zu würdigen,
wird durch Erklärungen der Parteien weder erweitert noch beengt; wohl aber kann
durch Anträge derselben die Pflicht begründet werden, die angedeuteten neuen Ge-
sichtspunkte zu prüfen und sich über das Ergebniß dieser Prüfung in der Begründung
des U. ausdrücklich auszusprechen. — Andererseits erleidet das Recht der freien
Prüfung des Gerichtes eine Einschränkung durch das Parteirecht insofern, als die
Rechtskraft früherer Entscheidungen nicht unbeachtet bleiben darf. Wie weit diese
reicht, wie weit namentlich die bei der Entscheidung über die Versetzung in Anklage-
stand (Eröffnung des Hauptverfahrens) ergangenen negativen Aussprüche der Rechts-
kraft fähig sind, ist hier nicht zu erörtern. Es kann aber auch bei Wiederholung der
Hauptverhandlung auf Grund der theilweisen Aufhebung des ersten Urtheils die
Rechtskraft des letzteren ein Hinderniß der allseitigen Beurtheilung bilden.
IV. Von dem Fall der Abweichung des U. von der Anklage ist der der Aus-
dehnung des ersteren auf eine That, welche durch letztere gar nicht berührt
war, ganz verschieden, was sich schon darin zeigt, daß in ersterem Fall an die
Stelle der in der Anklage enthaltenen Behauptung im U. eine andere Feststellung
tritt, während im letzteren Falle neben den Ausspruch über jene ein zweiter Ausspruch
über eine andere That tritt. das U. also möglicherweise den Angeklagten zweier real
konkurrirender strafbarer Handlungen schuldig findet, wo ihm die Anklage nur eine
zur Last gelegt hatte. In solchen Fällen findet eigentlich ein abgekürztes Verfahren
statt. Der Umstand, daß einerseits eine Hauptverhandlung wider den Angeklagten statt-
findet, andererseits bei dieser Gelegenheit eine neue Anschuldigung wider ihn hervor-
tritt, wird dazu benutzt, letztere sofort zu erledigen. Der Vorgang ist, als eine
Abkürzung, als Weglassung von Förmlichkeiten, welche das Gesetz sonst vorschreibt,
ein ausnahmsweiser und kann nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung statt-
finden, welche selbstverständlich an Bedingungen geknüpft sein muß, die geeignet
sind, jede Gefahr der Verletzung wesentlicher Prozeßgrundfätze fern zu halten. Im
Allgemeinen kann der Vorgang seine Rechtfertigung nur darin finden, daß es im
Interesse des Angeklagten selbst liegen muß, Beschuldigungen, die sich gegen ihn er-
heben, möglichst rasch der Aburtheilung zugeführt zu sehen, — daß die aus der