Bäterliche Gewalt. 1007
eines zweiten das Recht des erst vorgeschlagenen durch den Patron beseitigt werden
könne und der Obere dann dem zuletzt Präsentirten, seine Fähigkeit vorausgesetzt,
das Amt verleihen müsse (sog. variatio privativa). Die letzte Ansicht beruht auf
einer falschen Interpretation von c. 24 X. de jure patron. 3, 38 und ist in
neuerer Zeit nur durch Lippert, Lehre vom Patronatrecht, Gießen 1829, S. 118 ff.,
und Schilling, Der kirchliche Patronat, Leipzig 1854, S. 73 ff., vertheidigt
worden. Uebrigens streitet man auch darüber, ob der Patron nur einmal oder
mehrere Male variiren dürfe (s. Gerlach, Das Präsentationsrecht auf Pfarreien,
Regensburg 1855, S. 57 ff.), indessen muß die Nachpräsentation beliebig Vieler
gestattet werden, weil das Patronatsrecht eine Ausnahme von der Regel der
freien Kollation des Oberen bildet und deshalb Handlungen, welche, wie die Präsen-
tation mehrerer Kandidaten, dem Bischof eine Gelegenheit zu größerer Auswahl
bieten und so eine Annäherung an das bischöfliche Kollationsrecht herbeiführen,
nicht unerlaubt sein können. Für den geistlichen Patron ist die Variation unstatt-
haft, weil seine Verleihung im kanonischen Recht mehr als Kollation aufgefaßt wird
und damit der Vorschlag mehrerer Kandidaten nicht verträglich erscheint. — Im
protestantischen Kirchenrecht ist das Variationsrecht des Patrons gleichfalls für die
Regel ausgeschlossen, denn das Präsentationsrecht hat hier vielfach die Natur eines
Vokationsrechtes und Berufungsrechtes angenommen. Unter dieser Voraussetzung
erhält der Kandidat durch die Aushändigung des Berufungsschreibens oder der
Vokationsurkunde dem Patron gegenüber ein festes Recht auf das Amt, das allein
noch durch die Konfirmation des Kirchenregiments und den möglichen Einspruch der
Gemeinde bedingt bleibt. Das Preuß. Allg. LR. Th. II. Tit. 11 §§ 384 und
377.—383 hat dies ausdrücklich anerkannt, indem es im erst citirten Paragraphen
verordnet: „Nur aus eben den Gründen, aus welchen ein schon bestallter Pfarrer
seines Amtes entsetzt werden kann, ist auch der Widerruf einer zur rechten Zeit
angenommenen Vokation zulässig."“
Lit.: Für das kath. Kirchenrecht s. zum Art. Patronatsrecht; für das protestant. val.
Stachow, De juris canonici qducd ad jus patronatus spectat, in terris protestantium
usu ac non usu, diss. inaug., Berolini 1865, p. 49 ss. P. Hinschius.
Väterliche Gewalt, dem Namen, aber nicht der Sache nach dasselbe wie
patria potestas. Letztere ist der Ausdruck des Römischen Rechtes für das Herrschafts-
und Abhängigkeitsverhältniß, in dem das Familienoberhaupt und die Familien-
angehörigen zu einander stehen; in der v. G. des heutigen Rechtes kommt vor Allem
das Deutsch-rechtliche Schutz= und Vormundschaftsverhältniß zwischen Vater und
Kindern zum Ausdruck; die patria potestas ist wesentlich Recht des Hausvaters, die
v. G. unseres Rechtes ebensosehr Pflicht wie Recht. — Der Entwickelung des
Römischen Staates aus einem auf dem Geschlechterverband beruhenden städtischen.
ackerbautreibenden Gemeinwesen entsprach der enge, prinzipiell unauflösliche Familien-
verband: der Sohn (bzw. die Tochter, wenn sie nicht in manu mariti war) blieb
regelmäßig der patria potestas unterworfen, solange der Vater lebte, das Aufhören
der Gewalt vor des letzteren Tod blieb rechtlich bis in die späteste Zeit Aus-
nahme, wenn auch die Emanzipation (früher durch drei-- bzw. einmalige mancipatio,
Gajus I, 132, später entweder durch Erwirkung eines kaiserlichen Reskripts: emanc.
Anast asiana, 1. 5 C. de emancip. 8, 49, oder durch Entlassungserklärung des
Vaters vor Gericht, apud acta: emanc. Justinianea, 1. 11 C. 8, 49) faktisch
immer häufiger wurde; über einige Fälle der Erzwingbarkeit der Emanzipation und
des Verlustes der v. G. nach Römischem Recht vgl. Windscheid, Pandekten,
§ 525 N. 13—18. — Dem Deutschen Recht war die unbeschränkte Dauer der
v. G., des mundium, von jeher fremd; unbestritten ist, daß der volljährige
Sohn (über die Tochter vgl. d. Art. Geschlechtsvormundschaft) bei that-
sächlicher Trennung vom väterlichen Haushalt aus der Gewalt des Vaters trat;