Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1014 Verbrechen der Rellgionsdiener. 
Amtshandlungen würde sich sonst als illusorisch erwiesen haben. — Mit dem Aus- 
drucke „Angelegenheiten des Staates“ wird mehr als „Staatseinrichtungen oder An- 
ordnungen der Obrigkeit“ bezeichnet; den Gegensatz hierzu bilden die rein kirchlichen 
Angelegenheiten. — Die Strafe für dieses Vergehen besteht in Gefängniß oder 
(Festungshaft bis zu 2 Jahren. 
Durch die Strafgesetz-Novelle vom 26. Februar 1876 ist der § 130 a um einen 
Absatz vermehrt und die Strafbestimmung ausgedehnt auf den Religionsdiener, 
welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung des Berufes Schriftstücke 
ausgiebt oder verbreitet, in welchen Angelegenheiten des Staates in einer den öffent- 
lichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung 
gemacht sind. 
2) Die Vornahme unzüchtiger Handlungen (Vvgl. d. Art. Unzucht) 
von Seiten der Geistlichen mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen wird 
mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren, bei mildernden Umständen mit Gefängniß nicht 
unter 6 Monaten bestraft. Der § 174 Z. 1 des Deutschen RStrafe#B. ist wesentlich 
enger als z. B. Art. 212 des Bayr. Straf GB., in welchem es heißt: „Geistliche, welche 
mit ihren Pfarr= oder Beichtkindern u. s. w.“ Im Deutschen werden die Geistlichen 
also nur in ihrer Stellung als Lehrer oder Erzieher berücksichtigt, wofür aber wol 
eine besondere Erwähnung nicht nothwendig war, da der § 174 Lehrer und Erzieher 
schon erwähnt. 
3) Schwere Kuppelei begeht der Geistliche, wenn er die Person, welche er 
verkuppelt, zu unterrichten oder zu erziehen hat. Das Alter der betreffenden Person 
ist hierbei einflußlos. Vollendet ist die strafbare Handlung jedoch erst dann, wenn 
die Unzucht getrieben worden ist, was sonst nicht zum Begriffe der Kuppelei gehört. 
Die Strafe besteht in Zuchthaus bis zu 5 Jahren nebst obligatorischem Verlust der 
bürgerlichen Ehrenrechte; daneben ist Polizeiaussicht zulässig. 
Das Deutsche Straf GB. enthielt noch zwei andere Strafbestimmungen für 
Religionsdiener. Nach § 337 wurden Religionsdiener für den Fall bestraft, in 
welchem zur bürgerlichen Gültigkeit der Ehe die Aufnahme einer Heiratsurkunde 
erforderlich ist, wenn sie zu den religiösen Feierlichkeiten einer Eheschließung schreiten, 
bevor ihnen nachgewiesen ist, daß eine Heiratsurkunde von dem Personenstands- 
beamten ausgenommen sei. Diese Bestimmung ist durch § 69 des Reichsgesetzes 
vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personenstands und die Ehe- 
schließung beseitigt, welcher sich nur auf Standesbeamte bezieht. — Da Religions- 
diener das Amt eines Standesbeamten oder die Stellvertretung eines solchen nicht 
wahrnehmen können (vgl. § 3 Abs. 3 des citirten Reichsgesetzes), so hat auch § 338 
des Deutschen Straf B., auf Grund dessen Religionsdiener oder Personenstands- 
beamte, welche, wissend, daß eine Person verheiratet ist, eine neue Ehe derselben 
schließen, für Religionsdiener seine Bedeutung verloren. 
II. Neben diesen im Deutschen Straf GB. enthaltenen Strafbestimmungen finden 
sich solche noch in landesrechtlichen Spezialgesetzen, durch welche in einigen Deutschen 
Staaten (Preußen, Baden, Hessen) das Verhältniß zwischen Staat und Kirche neu 
geregelt ist. Diese Gesetze sind abgedruckt in Zorn's kirchenstaatsrechtlichen Gesetzen 
Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Italiens, Nördlingen 1876. Unter 
ihnen verdienen die wichtigsten Strafbestimmungen, welche in den Preußischen 
Kirchengesetzen (den sog. Maigesetzen) der Jahre 1873, 1874 und 1875 gegen 
Religionsdiener (und zwar besonders gegen Geistliche) enthalten sind, hier erwähnt 
zu werden. Strafbestimmungen sind erlassen für: 1) Ueberschreitungen der den 
Kirchen= und Religionsgesellschaften gesetzlich zustehenden Straf= und Disziplinar- 
gewalt; 2) Uebertretungen der staatlichen Vorschriften hinsichtlich der Besetzung kirch- 
licher Aemter, bzw. der Neuerrichtung von solchen und 3) Vornahme von Amts- 
handlungen in einem kirchlichen Amte, welches dem Inhaber durch gerichtliches 
Urtheil aberkannt ist. Vgl. hierüber bes. Hinschius in v. Holtzendorff's
	        
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