1024 Verfassungseld.
erbrecht kinderloser Ehegatten erweitert wurde. Von den Franken aus verbreitete
sich das V. in den verwandten Rechtsgebieten der Thüringer, Alamannen und
Bayern. Das V. ist in erster Reihe ein erbrechtliches Institut, es tritt erst mit
dem Tode des einen Ehegatten ein; während der Ehe besteht es nicht. Die Kinder
werden Eigenthümer des ganzen zur Zeit vorhandenen Grundbesitzes ihrer Eltern,
ohne Unterschied der Herkunft, gleichviel ob derselbe von dem verstorbenen oder dem
überlebenden Ehegatten herstammt, aber der letztere hat die Leibzucht. Dies ist
wenigstens die in der großen Mehrzahl der Quellen durchblickende Auffassung des
Rechtsverhältnisses, nur wenige nehmen ein durch Warterecht der Kinder beschränktes
Eigenthum des überlebenden Ehegatten an. Für die Dauer der Leibzucht sind die
Güter den Kindern verfangen, d. h. sie können ohne ihre Zustimmung, von Noth-
fällen abgesehen, weder veräußert noch dinglich belastet werden; der überlebende
Ehegatte hat die Nutznießung und, wie das Recht der Leibzucht es mit sich bringt,
in gerichtlich festgestellten Nothfällen auch das Recht der Veräußerung, letzteres we-
nigstens so lange er ledig bleibt. Das Recht der Nutznießung behält er, auch wenn
er eine neue Ehe eingeht, bis an seinen Tod. Die verfangenen Güter bleiben Eigen-
thum der Kinder erster Ehe und werden von ihnen, sobald sie frei werden, nach
Köpfen getheilt, wobei vorverstorbene Kinder durch ihre Descendenten vertreten wer-
den. Stirbt ein Kind vor Beendigung der Verfangenschaft, ohne Descendenten zu hin-
terlassen, so wächst sein Recht den übrigen Kindern zu, erst nach dem Absterben
sämmtlicher Kinder gehen die verfangenen Güter kraft Erbrechts auf den überlebenden
Elterntheil über. Das Recht der Kinder an den verfangenen Gütern ist demnach
Gesammteigenthum, nicht Miteigenthum zu ideellen Theilen. Das Mobiliarvermögen
wird vom V. nicht berührt, dasselbe ist ebenso wie das von den überlebenden Ehe-
gatten während des Wittwenstandes oder in zweiter Ehe erworbene Immobiliar=
vermögen sein freies Eigenthum und fällt, wenn er Kinder aus einer späteren Ehe
hinterläßt, in der Regel ausschließlich diesen zu, während die Vorkinder die ver-
fangenen Güter der ersten Ehe nehmen. — Die vielfachen Härten des V. führten
schon im 13. Jahrhundert oft zu freiwilligen Auseinandersetzungen zwischen den
Kindern und dem überlebenden Ehegatten, der zur zweiten Ehe schreiten wollte, und
zwar bald im Wege der Vermögenstheilung, bald in Gestalt von Einkindschafts-
verträgen, in welchen die Vorkinder gegen Verzicht auf ihr Eigenthum an den ver-
fangenen Gütern durch Erbeinsetzungsvertrag den Kindern zweiter Ehe gleichgestellt
wurden. Die Sitte der Vermögenstheilungen führte zum Theilrecht, das schon im
13. Jahrhundert vorkommt und bald mehr und mehr an Boden gewinnt; das so
gemilderte V. wurde nach der Rezeption in der Regel als fortgesetzte Gütergemein-
schaft aufgefaßt und verlor auf diese Weise seinen ursprünglichen Charakter, es wurde
aus einem erbrechtlichen Institute zu einem Institute des ehelichen Güterrechts. Wo
die Sitte der Einkindschaftsverträge überwog, kam man mehrfach zu der gesetzlichen
Einkindschaft, die man ebenfalls an die allgemeine Gütergemeinschaft anknüpfte. Da-
gegen verschwand das reine V. unter dem Einflusse der Rezeption fast überall, nur
vereinzelt hat es sich, theils mit theils ohne Theilrecht, bis in die neuere Zeit er-
halten, so in einigen Niederrheinischen Gebieten bis zur Einführung des Französischen
Rechts. Gegenwärtig findet sich das V. nur noch in einigen Thüringischen Statuten.
Vgl. die Art. Einkindschaft, Theilrecht.
Lit.: R. Schröder, Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland, II. Theil
1.—3. Abtheil. — Sandhaas, Das Fränkische eheliche Güterrecht. — Roth, System des
Deutschen Privatrechts, 8 101.
R. Schröder.
Verfassungseid (Thl. I. S. 856). Zu den ältesten Garantien der Ver-
fassungen gehört der auch von dem modernen Konstitutionalismus festgehaltene V.
des Landesherrn, der Staatsdiener, wol auch der Staatsbürger.