Verjährung. 1035
ihm zustehende Klage nicht rechtzeitig angestellt, die Ausübung einer ihm zustehenden
Servitut unterlassen hat, ein „verjährtes“ und sagt, der Berechtigte habe es durch
„V.“ verloren. Da nun aber andererseits jeder Rechtsverlust des Einen mit irgend
einem Rechtsvortheil irgend eines Andern verbunden ist, ja da vielleicht schon längst
vor Ablauf der V.frist das Anfechtungsrecht des bisher Berechtigten erloschen sein
kann, z. B. durch Verzicht, erblosen Tod desselben, und da namentlich in Folge
der V. nicht blos der bestehende Rechtszustand (wie bona fide Besitz, Klaglosigkeit)
als der berechtigte angenommen, sondern derselbe meistens noch dazu mit einem
neuen Rechte ausgestattet wird (Ersitzung des Eigenthums, erceptio gegen die ver-
jährte Klage), so unterscheidet man mit Recht von jener aufhebenden, er-
löschenden Extinktiv-V., die begründende, erwerbende Acquisitiv-V.
Es ist erst ein Verdienst der neueren Doktrin, daß sie die in diesem allge-
meinen V. begriff ruhenden einzelnen Rechtsinstitute, namentlich den Unterschied der
rechtsbegründenden und rechtsvertilgenden V. selbständig hervorgehoben und behandelt
hat. Das Römische Recht, aus dem die gemeinrechtliche Doktrin der V. im Wesent-
lichen geschöpft ist, kannte kein einheitliches Institut der V., sondern nur zwei Fälle
derselben: den Eigenthumserwerb durch Ersitzung und betagte Aktionen (erst seit
Theodosius II. 424 eine eigentliche Klagen-V.). Aber schon die Glossatoren be-
gannen die Verschmelzung beider Institute, und die einheimische Existenz eines einzigen
Deutschen V. begriffes besiegelte diese Doktrin bei der Rezeption des Römischen Rechts.
So ist also der Schritt der neueren Doktrin zur Gliederung ein Schritt zur wahren
Ouelle der V. zurück gewesen.
Es ist nun gemeinrechtlich zu unterscheiden: die begründende V. des Eigen-
thums und der anderen dinglichen Rechte, sog. „Ersitzung“, die aufhebende V. der
dinglichen Rechte und die Klagen-V. Das sind wenigstens die Hauptgruppen, denn
z. B. die Extinktiv-V. der Obligationen fällt, weil das obligatorische Recht wesent-
lich Klagerecht ist, mit der Klagen-V. zusammen, und eine Acquisitiv-V. der Obli-
gationen giebt es nicht; lange dauernde Leistung könnte höchstens, wie die lang-
jährige Zinszahlung nach fr. 6 pr. D. 22, 1, eine Präsumtion für das Vorhandensein
einer wirklichen Verbindlichkeit begründen (Windscheid II, § 259, 7; Dern-
burg, Preuß. Privatrecht, II. § 35 Nr. 1). Dagegen giebt es noch sonst, wie bei
manchen der im Civilrecht zulässigen richterlichen Fristbestimmungen (z. B. bei fest-
gesetzter Deliberationsfrist für den Erben), bei den deutschrechtlichen Instituten, deren
Zugehörigkeit zu den in rem oder in personam gehenden Ansprüchen nach Römischem
Recht sich kaum entscheiden läßt (z. B. Reallasten), und hinsichtlich mancher dem
öffentlichen Rechte angehöriger Befugnisse (z. B. Regalien), eine V., die in keine
der angegebenen Kategorien des Römischen Rechts untergebracht werden kann. Eine
durchgehende Unterscheidung dürfte übrigens für alle Verjährungsfälle zutreffen:
entweder ist einem Recht von vornherein bei seiner Entstehung schon eine Frist
gesetzt, innerhalb deren es ausgeübt werden muß, wenn es nicht verloren gehen soll
(so bei den verjährbaren Klagerechten, bei der Erklärung des Erben über Erbschafts-
antritt innerhalb Deliberationsfrist, bei prozessualischen Fristen u. s. w.) — das
kann auch durch Privatdisposition herbeigeführt werden —; oder das Recht trägt
eine solche Zeitbestimmung nicht in sich, sondern kraft besonderer Rechtsvorschrift
soll dasselbe nur verloren gehen, wenn es innerhalb eines gewissen Zeitraums,
nachdem es entstanden ist, dauernd nicht gebraucht wird (hierher die V. der Servi-
tuten, der Zehntrechte u. s. w.). (Der Hervorhebung der ersten dieser beiden Formen
widmet sich neuerdings die Schrift von A. Grawein, V. und gesetzliche Befristung,
Leipzig 1880. Dieselbe behandelt in ihrem bisher erschienenen ersten Theil die
begrifflichen und praktischen Unterschiede beider Institute und stellt für ihren dritten
Theil eine Kafuistik in Aussicht, deren Zweck die Einordnung der verschiedenen Fälle
unter die eine oder andere diese Kategorien bildet.)