Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Verordnungsrecht. 1061 
tungsrechts). Es führte dahin einerseits ein Grundzug unserer Nation, welche sich 
nicht leicht Beschränkungen des Eigenthums und der persönlichen Freiheit durch 
obrigkeitliche Gebote fügt; wenn sie sich aber fügen muß, ein gleiches Maß der 
Beschränkungen und Lasten für Alle verlangt. Andererseits führt dahin ein Interesse 
der Regierenden selbst, da Verordnungen zur Bewahrung des Friedens und analoge 
auf eine wirksame und dauernde Befolgung schwer zu rechnen haben, wenn sie nicht 
mit Zustimmung der optimates erlassen werden, auf deren Eifer und gutem Willen 
ihre Ausführung beruht. Dieser Gesichtspunkt kommt mit der wachsenden Macht 
der Reichsstände zu einer stetig wachsenden Geltung. Seit dem XV. Jahrhundert 
gehen daraus die umfangreichen Reichspolizeiordnungen und andere um- 
fassende Reichsgesetze hervor, welche die Normativgrundlage für das Deutsche 
Verwaltungsrecht durch Gesetze bilden. Gleiche Gesichtspunkte machten sich 
für die Regelung der Heereslast geltend. Für die Steuergesetze ergab sich die Noth- 
wendigkeit einer Zustimmung aus der ursprünglichen Freiwilligkeit aller Steuer- 
leistungen, vermöge deren die ursprüngliche Subsidienbewilligung in Gesetzzustimmung 
übergeht. Alle noch übrig gebliebenen Regierungsgewalten des Kaisers sind nun- 
mehr so überwachsen durch eine umfassende und spezialisirte Reichsgesetzgebung, daß 
für die Ausübung des (übrigens jederzeit anerkannten) kaiserlichen „V." ein sehr geringes 
Gebiet übrig blieb. Ein ähnliches Verhältniß ist später in England eingetreten, 
wo der Mißbrauch der Regierungsgewalt in der Periode der Stuarts eine überaus 
spezialisirte Verwaltungsgesetzgebung herbeigeführt, und damit das Gebiet der Ver- 
ordnungen (orders in council) sehr beengt hat. Prinzipiell bestritten ist indessen 
das selbständige V. der Krone auch in England erst seit den Zeiten und unter dem 
Einfluß der von Frankreich ausgehenden Theorien von der Volkssouveränetät, welche 
alles Recht ausschließlich aus dem Volkswillen, also aus den (mit Zustimmung der 
Volksvertretung erlassenen) Gesetzen ableiten wollen. 
II. Die Uebertragung des Verhältnisses von Gesetz und Ver- 
ordnung aus dem Reichs= in das Landesstaatsrecht ist in Deutschland 
unter sehr ungleichartigen Verhältnissen erfolgt. Die Karolingischen Reichsbeamten, 
duces, comites, missi, hatten mit Uebertragung des Rechts zu gebieten und zu 
verbieten (bei Königsbann, Herzogsbann, Grafenbann, Schultheißenbann) auch ein 
V. in ihrem Amtskreise erhalten, von dessen Ausübung frühzeitig Spuren vorkommen. 
Zu einer Kollision desselben mit der lex terrae konnte sich jedoch nicht leicht eine 
Veranlassung finden; denn Privat= und Strafrecht waren so umfassend durch Ge- 
wohnheitsrecht geregelt, daß selbst die Reichsgesetzgebung der ersten Jahrhunderte 
wenig Gegenstände für die Gesetzgebung vorfand. Erst unter den Hohenstaufen, nach- 
dem die Sonderbildung der großen Territorien mächtig vorgeschritten war, kam die 
Frage auf dem Reichstag zu Worms a. 1231 zur Sprache, und wurde korrekt im 
Sinne der Karolingischen Verfassung entschieden: ut neque principes nec alü qui- 
libet constitutiones vel nova iura facere possint, nisi meliorum et 
maiorum terrae consensus primitus habeatur (vgl. auch Landfriede von 
1287 § 49). Es war damit wenigstens die Möglichkeit einer Landesgesetzgebung 
in Justizsachen anerkannt. Gegen Ende des XIV. und im XV. Jahrhundert haben 
sich sodann die „meliores terrae“ zu Landständen nach dem Vorbild der Reichs- 
stände formirt, und es schien nun die Möglichkeit einer völlig parallelen Gestaltung 
von Gesetz und Verordnung auch in den Deutschen Territorien geschaffen. Allein 
die landständischen Verfassungen sind in Deutschland niemals zu einer regelmäßigen 
und gleichmäßigen Durchbildung gekommen. Diese Stände in kleinerer Formation 
waren so überwiegend durch wirthschaftliche Interessen des Grundbesitzes, die Städte 
durch gewerbliche Interessen bestimmt, daß die Landstände in keinem Territorium 
einen vollen und gleichmäßigen Antheil an der Gesetzgebung erstrebt und erlangt 
haben (Moser, Landeshoheit in Regierungssachen, c. IV.). In jedem Territorium 
gestaltete sich dieser Antheil verschieden, je nach den zeitigen Interessen und Macht-
	        
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