Verordnungsrecht. 1063
sprechenden Periode des Römischen Kaiserreichs). Das Gesetz ist als solches er-
kennbar:
a) An dem Inhalt, welcher eine allgemeine Rechtsregel für alle Fälle
gleicher Art ausdrückt, sei dieselbe an die Unterthanen gerichtet (wie die bürger-
lichen, Straf= und Polizeigesetze) oder an alle Obrigkeiten des Landes, wie die
Polizeiverwaltungs-, Regalverwaltungs= und analoge Verwaltungsgesetze. Oft wird
auch im Styl die Anordnung als eine lex in perpetuum valitura bezeichnet.
b) An der solennen Publikation, welche wegen der Allgemeingeltung
legislatorischer Verordnungen für die Unterthanen und für die Lokalobrigkeiten
wesentliche Form geblieben ist.
c) An einer landesüblichen Bezeichnung dieser Gesetze, als Konstitution, Edikt,
Mandat, Publikandum, Generalinstruktion u. dgl., wenn auch mit manchem Wechsel
des Sprachgebrauches in ein und demselben Gebiet.
Daß dabei manches Schwankende und Willkürliche in der Abgrenzung vorkam,
lag in dem Wesen des Absolutismus, der jederzeit im Stande war, fehlende
Formalien nachzuholen und der jedenfalls den Willen des Landesherrn den Behörden
gegenüber durchsetzen konnte, — vorbehaltlich einer für die großen Territorien wenig
wirksamen Kontrole der Reichsgerichte.
IV. Mit der Herstellung der konstitutionellen Verfassungen
Deutschlands, seit 1815, hat sich das ursprüngliche und normale Verhältniß
zwischen Gesetz und Verordnung wieder hergestellt. Nachdem an die Stelle der
Vertretung der alten Besitzklassen in ständischer Scheidung eine Vertretung der
heutigen Gesellschaft nach ihren Steuerleistungen und persönlichem Dienst getreten
ist, haben sich die alten, ungleich und lückenhaft gestalteten Rechte der Landstände
zu einer vollen, gleichmäßigen Theilnahme an der Gesetzgebung und gewissen Re-
gierungsakten der Staatsgewalt verjüngt, — zunächst nach dem Vorbild Französischer
und Belgischer Muster, unwillkürlich aber auch nach Rechtsideen der alten Reichs-
verfassung und des (dem Deutschen Landesstaatsrecht verwandten) Englischen Parla-
mentswesens. Gesetz ist jetzt wieder die königliche „Verordnung mit Zustimmung“
der Landesvertretung, und ist in dieser verstärkten Gestalt wiederum der höchste Regu-
lator des Staatswillens. Es bedarf des Gesetzes zur Abänderung des Landesrechts und
der Gerichtsverfassung. Das Gesetz ist die höchste Norm auch des Verwaltungsrechts
und geht der Verordnung vor in allen Gebieten und Normen, welche durch die
Gesetzgebung präokkupirt sind. Wie weit dies eingetreten, ist eine nach Zeit, Orts-
verhältnissen und Gegenständen durchaus relative Frage. Die Verwaltungsgesetze
Europa's differiren darin soweit, daß (abgesehen von der Gerichtsverfassung und von
den Steuergesetzen) kaum irgend ein Satz des Verwaltungsrechtes als normaler
Gegenstand der Gesetzgebung bezeichnet werden kann.
Die zahllosen Streitpunkte über diese Frage beruhen auf zwei ineinander-
greifenden Verhältnissen: 1) Darauf, daß die Belgischen und Französischen Verfassungen
vom Standpunkt der Volkssouveränetät aus die Gesetzgebung als die auf dem Volks-
willen beruhende alleinige Ouelle der Regierungsgewalt ansehen, und das V.
demnach auf Ausführungsverordnungen zu beschränken suchen. 2) Darauf#, daß die
Rechtsverständigen in ihrem Berufsleben in der Civil= und Strafjustiz ausschließlich
auf eine Rechtsprechung nach Gesetzen verwiesen sind, und dies Verhältniß als
das allein geltende, normale ansehen. In der Wirklichkeit, d. h. in den bestehenden
positiven Staatsrechten, ist überall das selbständige V. als bindende Norm des
Verwaltungsrechts anerkannt (Gneist, Verwaltungsjustiz, § 6), und jeder Versuch,
die Verwaltungsnormen lediglich auf Gesetze zu reduziren, müßte sich als illusorisch
erweisen, da die Fürsorge der Obrigkeit für Sicherheit und Wohlfahrt des Gemein-
wesens sich niemals in Gesetzen erschöpfen läßt, da vielmehr eine freie Thätigkeit der
Obrigkeit nach Bedürfnissen der Zeit und des Ortes stets in weittragenden General-
klauseln der Gesetzgebung vorbehalten werden muß, und diese freie Thätigkeit jederzeit