1064 Verordnungsrecht.
für Fälle gleicher Art gleichmäßig normirt, also eine immer neue Quelle von V.
werden muß.
V. Das Verhältniß der gegenseitigen Ergänzung zwischen
Verordnung und Gesetz im ganzen Gebiet des Verwaltungsrechts
versteht sich hiernach allerdings mit dem Vorbehalt der von der Gesetzgebung schon
präokkupirten Gebiete. Mit diesem Vorbehalt bleibt aber die Verordnung selbst-
ständige Norm des Verwaltungsrechtes und außerdem unentbehrlich zur Ergänzung
und Spezialisirung der Gesetzesnormen, welche zahlreiche Einzelheiten der Ausführung
einem Wechsel nach Zeit und Ort überlassen müssen. Die Verordnungen lassen sich
danach in drei Klassen scheiden:
a) Selbständige Verordnungen für alle von der Gesetzgebung noch nicht
präokkupirten Gebiete des Verwaltungsrechtes.
b) Ausführungsvverordnungen zur speziellen Ausführung der durch die Ge-
setzgebung schon bestimmten allgemeinen Normen.
c) Im Gesetz selbst vorbehaltene Verordnungen, die über die Grenzen der
Ausführung oft absichtlich hinausgehen, und nach dem System der Ermächtigungs-
klauseln (empowering clauses) auch eine transcendente, gesetzaufgebende Wirkung.
haben können.
Der Gegensatz zwischen Gesetz und Verordnung kommt demnach
nicht zur Erscheinung in ihrer zeitigen Geltung: beide sind gleichbindende Normen
für die Behörden wie für die Verwaltungsrechtsprechung. Der Unterschied tritt aber
hervor bei der Aufhebung. Die Verordnung kann durch Verordnung aufgehoben,
abgeändert, suspendirt, durch Dispensation außer Kraft gesetzt werden. Dieselbe
Autorität, welche die Verfassungsnormen geschaffen hat, gehört und genügt zu deren
Aufhebung. Das Verwaltungs gesetz kann eben deshalb nur durch Gesetz (nicht
durch Verordnung) aufgehoben, abgeändert, suspendirt oder durch Dispensation (sofern
sie nicht im Gesetz selbst vorbehalten ist) außer Kraft gesetzt werden. Die in älterer
Zeit häufig vorgekommenen Abweichungen davon erklären sich aus den oben ge-
zeichneten Irregularitäten der Uebergangsperiode des Absolutismus. Nach Herstellung
des normalen Verhältnisses bilden diese Grundsätze die „Achse des konstitutionellen
Staatsrechts“. Allerdings kann auch der konstitutionelle Rechtsstaat eines Aus-
nahmsrechts für einen wirklich vorhandenen zeitweisen Nothstand so wenig entbehren,
wie die Republik einer diktatorischen Gewalt pro tempore. Unter Verantwortlichkeit
der Minister kann durch sog. „Nothverordnung“ auch ein verfassungsmäßiges
Gesetz pro tempore außer Kraft gesetzt oder abgeändert werden. Für diesen dikta-
torischen Ausnahmszustand hat die Preußische Verfassungsurkunde (Art.--63) formelle
Vorbedingungen zu präzifiren gesucht. Unentbehrlich aber bleibt für diese Frage die-
rechtliche Verantwortlichkeit der Minister und ein dafür bestellter Gerichtshof. Die
Rechtskontrolen eines ausgebildeten Staatswesens lassen sich sinnreich so spezialisiren,
daß im Laufe von Menschenaltern der Fall einer rechtlich begründeten Minister-
anklage kaum vorkommen kann: für das Gebiet der Nothverordnungen bleibt indessen
eine Lücke, die nur durch die Ministerverantwortlichkeit auszufüllen ist.
Von anderer Seite erhielt das Gebiet des V. noch eine ansehnliche Er-
weiterung durch den von Alters her anerkannten Grundsatz, daß die vollziehende
Gewalt ihr Gebotsrecht delegiren kann und in weitem Maße den höchsten und
höheren Staatsbehörden delegirt hat. Folgerichtig ergiebt sich daraus auch ein V.
dieser Behörden. Von noch anderer Seite kam diesem System entgegen das alte
ius statuendi der Stadtmagistrate, welches (unter mancherlei Streit) meistens auch
den ländlichen Obrigkeiten zugestanden wurde. Durch die Unterordnung der Lokal-
obrigkeiten unter das Auffichtsrecht der Staatsbehörden, unter deren jus confirmandi
vel interdieendi, reiht sich auch dies V. in die Kette der delegirten V. ein, und
es bildet sich daraus, insbesondere für das Polizeirecht, eine weitere Reihe fub-
ordinirter V., welche nun folgende Abstufungen darbieten: