Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Verwaltungsjurisdiktion, Verwaltungsjustiz. 1119 
adversus fiscum, in Eigenthums= und Kontraktsverhältnissen gegenüber dem 
Staat, in Folge der Rezeption des jus füsci in Deutschland, welches anderen Nationen 
fremd geblieben ist; c) durch ihre Urtheile über Civilklagen gegen Beamte aus 
Ueberschreitung ihrer Amtspflicht, womit das Civilgericht über die gesetzmäßigen 
Schranken der Amtsbefugnisse entscheidet, — zunächst nur für den einzelnen Fall, 
aber mit der Autorität eines praecedens, der sich erfahrungsmäßig keine Ver- 
waltung entziehen kann. 
2) Viel weitergehend wirkt die Rechtskontrole der ordentlichen Straf- 
gerichte in den überaus zahlreichen Fällen, in welchen eine Verwaltungsnorm den 
Obersatz eines strafgerichtlichen Urtheils bildet, insbesondere: a) durch ihre Ent- 
scheidungen über Hochverrath, Aufruhr, Widerstand u. a. Staatsverbrechen, 
durch welche sie die wichtigsten Grundsätze des Verfassungs= und Verwaltungsrechts 
maßgebend feststellen; b) durch ihre Entscheidungen über Amtsvergehen, durch 
welche sie über die Zuständigkeit aller Verwaltungsbeamten in allen Zweigen und 
Stufen des Dienstes ein maßgebendes Urtheil fällen; c) durch ihre Entscheidungen. 
über polizeiliche und steuerliche Uebertretungen und Defrau- 
dationen, durch welche ungefähr die Hälfte des Polizeirechts, das Recht der in- 
direkten Steuern und der Verwaltung der Regalien unter die Auslegung und Hand- 
habung der ordentlichen Strafgerichte gebracht ist. Diese weittragende strafrechtliche 
Kontrole wurde um so wirksamer, da sie in Folge des eximirten Gerichtsstandes 
unmittelbar durch die sehr selbständigen Obergerichte (ex officio oder auf Privat- 
denunziation) geübt wurde, und da die allgemeine Anweisung der Reichsgesetze und 
Landesgesetze, „sich durch keine Hofreskripte irre machen zu lassen“, auch von diesen 
Fällen galt. Durchbrochen wurde dieser Knochenbau des Deutschen Rechtsstaats erst 
durch den Einfluß Französischer Theorien, welche dies Anklagerecht ausschließlich der 
Staatsanwaltschaft übereigneten, den öffentlichen Ankläger dem Entlassungsrecht und 
den Anweisungen der Minister unterordneten, und überdies noch die Strafverfolgung 
von den Vorbeschlüssen einer temporär ernannten Kommission abhängig machten. 
Erst durch die neue Reichsgesetzgebung ist in letzter Stunde dieser Einbruch in die 
Deutsche Rechtsordnung wieder beseitigt, — wenn nicht geschickt, so doch dem Erfolg 
nach ungefähr ausreichend. 
3) Dazu trat noch ergänzend eine außerordentliche Verwaltungsjurisdik- 
tion, entstanden im Deutschen Reichsrecht für das Gebiet des Polizei-, Steuerrechts= und 
analoger Verwaltungsnormen, welche durch Einzelverfügungen der Obrigkeit causa cog- 
nita zu handhaben sind (vgl. d. Art. Beschwerde). In diesen Fällen waren die Reichs- 
gerichte im Namen von Kaiser und Reich mit der Abhülfe von „Beschwerden“ der Unter- 
thanen über gesetzwidrige Akte der Obrigkeit beauftragt, kraft einer außerordentlichen 
Zuständigkeit, welche außer Zusammenhang mit ihrer Civilgerichtsbarkeit steht, vielmehr 
eine neu geschaffene Verwaltungsrechtsprechung bildet, die in Form des Mandatprozesses, 
Restkriptprozesses oder der Extrajudizialappellation unter dem Namen guerela geübt 
wurde, — ebenso wie die Englischen Reichsgerichte eine solche Verwaltungsjurisdiktion 
noch heute in Form von Reskripten (Writs) ausüben. In den Deutschen Territorien, 
welche unter der Jurisdiktion der Reichsgerichte geblieben waren, ergab sich daraus 
eine doppelte Weise der Abhülfe von Beschwerden gegen die Verwaltung: durch An- 
rufung der Aufsichtsinstanz in der Hierarchie der Landesbehörden (administrative 
Kontrole), und konkurrirend damit durch die Rechts beschwerde (querela) beim Reichs- 
gericht (Rechtskontrole). Schon in jener Zeit erschien also die Ouasi-Jurisdiktion 
in Verwaltungssachen lediglich als eine Verstärkung der Beschwerdeinstanzen. Warum 
freilich diese V. der Reichsgerichte in den großen Territorien wenig wirksam wurde, 
wie schwer es ihr wurde die thatsächlichen Voraussetzungen festzustellen, wie solche 
bei der beginnenden Trennung von Justiz und Verwaltung in der Regel auf den 
„geheimen Staatsrath“ überging, wie durch die Entwickelung des „Behördensystems“ 
dann noch die geeigneten Provinzial= und Lokalorgane hinzutraten, ergiebt sich aus 
 
	        
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