Verwaltungsjurisdiktion, Verwaltungssjustiz. 1121
2) Die Generalkontrole, welche an die ständische Berathung des Staats-
haushalts anknüpft und bei der freien Stellung der Kammern zur Bewilligung der
Mehrzahl der Geldbedürfnisse des Staats zu einer weit ausgedehnten Kritik der Ver-
waltung im Ganzen und im Einzelnen führt.
3) Die letzte Garantie endlich gewährt die parlamentarische Minister-
anklage, die auch in England nur als äußerst subsidiäres Rechtsmittel gemeint
und gehandhabt worden ist, für einige Gebiete des Verwaltungsrechts indessen, wie
die Ueberschreitung des Verordnungsrechts durch das Gebiet der Gesetzgebung (s. d.
Art. Verordnungsrecht) unentbehrlich bleibt.
Diese dreifach gegliederten, stetig ineinander greifenden, sich ergänzenden Kon-
trolsysteme sind es, auf welchen zugleich die Ordnung der Verwaltung und der
Rechtsschutz der Unterthanen im öffentlichen Recht beruht. Die mehr präventiv als
repressiv wirksamen Rechtsbeschwerden (II. 3) bilden darin ein bedeutungsvolles, un-
entbehrliches, aber sehr eng begrenztes Glied, welches weit überschätzt wird von den-
jenigen, welche vermeinen, daß ein Rechtsschutz im öffentlichen Recht durch neu
erdachte Serien von Klagen gegen die Obrigkeit erst geschaffen werden müsse.
In dem Großstaat Preußen, dem bei einem festausgebildeten einheitlichen Ver-
waltungsrecht ein die Verwaltung kontrolirender Staatsrath fehlte, traten mit der
konstitutionellen Verfassung Zustände ein, welche die Rekonstruktion einer Verwaltungs-
rechtsprechung von staatlichem Gesichtspunkt aus zur Nothwendigkeit machten.
Mit bewußter Energie hatte einst die Preußische Staatsbildung die stärksten
Kontrolen in die Verwaltung geführt und den Verwaltungsbehörden den vollen
Organismus der Gerichte gegeben. Aus Kanzler und Räthen formirte sich ein
kollegialischer „Geheimer Staatsrath“, in dem das Contentieux, ähnlich dem Fran-
zösischen Conseil d'’Etat, kollegialisch durch ständige lebenslängliche Beamte ent-
schieden wurde. In der Mittelinstanz wurden die Kriegs= und Domänenkammern
ebenso zahlreich und ständig besetzt, wie die damaligen Obergerichte. In erster Instanz bot
das ständige Landrathsamt zwar nur die Stellung des Einzelrichters dar, aber nicht
schlechter besetzt, als die vielen Tausend Orts= und Patrimonialgerichte jener Zeit.
Die ständige, lebenslängliche Stellung der Beamten, ihre Vorbildung, ihr Geist der
Pflichttreue und ihr gesellschaftliches Ansehen bildete nirgends einen erkennbaren Unter-
schied von den Gerichten.
Eine nicht beabsichtigte, aber unvermeidliche Abschwächung dieses Organismus
war indessen bereits durch die Stein-Hardenbergischen Reformen ein-
getreten, welche unter Aufhebung des vielköpfigen Geheimen Staatsraths die Central=
verwaltung zu fünf Minister-Staatssekretären in rein büreaukratischer Formation ver-
einfachten, die Kriegs= und Domänenkammern in beweglichere Regierungsabtheilungen
formirten und ihnen damit die zur energischen Durchführung großer Reformgesetze
nothwendige Gestalt gaben. Durch die Kassirung des Geheimen Staatsraths war
nun in Preußen eine anomale Stellung der neuen Minister entstanden, in welcher
jeder Departementschef die Entscheidung der kontentiösen Verwaltungsfragen seines
Departements als ein Stück seiner Attributivjustiz an sich zog und festhielt, auch
nachdem 1817 ein Staatsrath mit sehr beschränkten Attributionen wieder hergestellt
wurde.
Zum'völligen Bruch kam nun aber das so abgeschwächte System der Verwaltungs-
beschwerden durch die Mißverständnisse des Französischen Konstitutionalis-
mus, die seit 1850 in Preußen zur offiziellen Geltung kamen und als angebliche
„Forderungen der neuen konstitutionellen Staatsform“ die Landräthe, Regierungs-
präsidenten, Oberpräsidenten und Ministerialdirektoren als entlaßbare Beamte zur
Disposition der Minister stellten. Waren damit die Hauptbeamten der Verwal-
tungsrechtskontrole (oben II. 3) jeder Analogie einer richterlichen Unabhängigkeit
entkleidet, so wurde nun andererseits eine parteimäßige Handhabung aller staat-
lichen Anstellungsrechte, aller Polizeigewalt, insbesondere bei Ertheilung von Kon-
v. Holtzendorff, Ene. II. Rechtslexikon III. 3. Aufl. 71