Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1124 Verwaltungorath. 
In zweiter Instanz schon tritt die question of fact mehr zurück, die Seite 
der Gesetzauslegung mehr in den Vordergrund; daher eine stärkere Vertretung des 
rechts- und geschäftskundigen Beamtenelements — aber auch hier noch verstärkt 
durch Ehrenamtsmitglieder in richterlicher Unabhängigkeit. In dieser Mittelinstanz 
erscheint die Rechtskontrole dem Regierungspräsidenten neben geordnet, analog einem 
Regierungsjustitiar mit votum decisivum. 
Erst die oberste Instang ist sachgemäß als eine reine revisio in jure ge- 
staltet, die sich von den erekutiven Behörden völlig abtrennt, aus verwaltungsrechts- 
kundigen Beamten in richterlicher Unabhängigkeit formirt, und analog einer Ab- 
theilung des Staatsraths den Centralbehörden nebenordnet. 
In dieser Gestalt hat sich die Preußische V. in sicherer Rechtskontinuität dem 
Behördensystem eingefügt, in praktischer Wirksamkeit bewährt und Vertrauen er- 
worben. Sie entspricht keineswegs den theoretischen Systemen der Civilisten: aber 
sie ist durch ein Zusammenwirken von Männern geschaffen, die durch langjährige 
Thätigkeit in Staats= und Kommunalverwaltung wie im Parlamentsleben, durch 
eine lebendige Kenntniß unserer ländlichen und städtischen Bedürfnisse, auch durch 
einige praktische Kenntniß auswärtiger Verwaltungssysteme, eine vielfeitigere An- 
schauung gewonnen hatten, als solche aus den Büchern über „V.“ zu ge- 
winnen ist. 
Lit.: Für die Englische Verwaltungsgerichtsbarkeit: 2 R. Gneist, Das Selfgovernment 
und die Verwaltungsgerichte in England, 3. Auflage, Berlin 1871; Derselbe, Ver- 
waitung, Justiz und Rechtzweg, Ferlin 1869. — Für rankreich: Dareste, La Justice 
administrative en France, I 2. — Für die Deutschen Mittelstaaten: O. b. Sarwey, 
Das öffentliche Recht und die W“] o Tübingen 1880. — Für Oesterreich: 
Pann, Die Verwaltungsjusti in Oesterreich 1875, Grünwald 1875, Ulbrich 1875, v. 
Kißling 1875. — Für Preußen: R. Gneist, Preuß. Kreisordnung 1872; Derselbe, 
Verwaltung, Justig- Rechtsweg, 1869. — v. Brauchitsch, Die neuen Preußischen Verwaltungs- 
gesetze, 4. Aufl. 1 — R. Gneist, Der Rechtsstaat, 2. Aufl. 1879; Derselbe, Zur Ver- 
waltungsreform 96 Prahen 1880.— Vgl. zur nothwendigen Ergänzung den obigen Lie Be- 
schwerde (verwaltungsrechiliche). Gneist 
Verwaltungsrath. Der Name „V.“ ist in den Statuten moderner Körper- 
schaften für kollegiale Organe von sehr verschiedener rechtlicher Stellung gebräuchlich, 
indem bald der Vorstand oder ein Theil desselben, bald der Aussichtsrath, bald 
endlich ein eigenthümliches Organ, welches einerseits vom Vorstand vollkommen 
getrennt, andererseits nicht auf Kontrolfunktionen beschränkt, sondern an der Ver- 
waltung betheiligt ist, diesen Namen führt. 
In allen diesen Bedeutungen kommt ein V. namentlich bei Aktiengesell- 
schaften vor. Das Gesetz zählt ihn nicht zu den nothwendigen Organen und ent- 
hält über ihn keinerlei normative Bestimmungen. Es erwähnt ihn überhaupt nur 
ein einziges Mal ganz nebenbei, indem es unter den nach innen zwar wirksamen, 
nach außen aber unwirksamen statutarischen Beschränkungen der Vertretungsbefugnisse 
des Vorstandes das Erforderniß der Zustimmung eines V. für einzelne Geschäfte 
aufführt (HGB. Art. 231 Abs. 2). Somit hat an sich das Statut sowol hin- 
sichtlich der Anordnung eines V. als hinsichtlich der Bestimmungen über seine 
Bildung und seinen Wirkungskreis freie Hand. Nur dürfen die betreffenden Satzungen 
niemals den zwingenden gesetzlichen Vorschriften über Beschaffenheit und Kompetenz 
der nothwendigen Organe derogiren. Darum ist es zunächst rechtlich bedeutungslos, 
wenn, wie dies vielfach begegnet (Renaud, Aktiengesellschaft, 2. Aufl. S. 526 ff.), 
der Vorstand im Statut „V.“ genannt wird. Auf einen solchen V. sind viel- 
mehr alle Grundsätze über den Vorstand einer Aktiengesellschaft anzuwenden, wie dies 
auch in der Praxis des ROPS. konstant geschehen ist (vgl. Entsch. Bd. XVII. 
Nr. 28, XIX. Nr. 98, XXII. Nr. 63; auch XIII. Nr. 45 und 46 über den „Ver- 
waltungsausschuß“ als Vertreter einer Eisenbahngefellschaft gegen die mit der 
Administration der Eisenbahn betraute staatliche Eisenbahndirektion). Doch kann
	        
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