Verzugsgefahr. 1135
Erklärung mit dem Willen des Verzichtenden an das Gericht gelangt ist, nicht zu-
rückgenommen werden. Bei dem V. auf die Zeugnißverweigerung ist dem Zeugen
jedoch gestattet, während der Vernehmung den V. zu widerrufen. Ist der Zeuge
vor der Hauptverhandlung vernommen, so kann er sogar noch in derselben sein Recht
der Zeugnißverweigerung geltend machen, d. h. den früheren V. widerrufen.
Lit.: Hinsichtlich des V. im Strafrecht ist zu vergleichen die Lit. über Antragsdelikte
und unter den Kommentaren bes. die von Rüdorff und Olshausen, hinsichtlich des V.
im Strafprozeß ist eine zusammenhängende Darstellung nicht vorhanden und daher auf die
Kommentare zur Straf P. und bes. auch auf d. Art. Rechtsmittel (strafprz.) (Bd. III. S.
300 ff.) zu verweisen.
Dochow.
Verzugsgefahr. Wie der Civilprozeß darauf bedacht ist, durch summarisches,
abgekürztes Verfahren oder durch Arrestschlag die Rechtsverwirklichung ausnahms-
weise zu beschleunigen oder gegen wahrscheinlich dazwischentretende Hindernisse zu
sichern, so ist auch im Strafprozeß, neben der Innehaltung einer regelmäßig vor-
geschriebenen Ordnung, der Ausnahmefall zu würdigen, in welchem das Recht des
Staates auf Strafe durch besondere Umstände alsdann vereitelt werden würde, wenn
man sich an die für gewöhnliche Durchschnittsverhältnisse aufgestellten Vorschriften und
Regeln binden wollte. Unter dem Titel der V. verzeichnet die RötrafP. O. eine
Reihe von Ausnahmebestimmungen, wonach von dem regelmäßigen Verfahren
abgewichen werden darf oder muß. Solche extraordinäre Bestimmungen beziehen
sich vornehmlich auf das Stadium der strafprozessualischen Vorermittelungen oder die
Voruntersuchung. Berührt werden, wo „Gefahr im Verzuge“ obwaltet: 1) Die
Kompetenzverhältnisse des Richters, insofern als örtlich oder sachlich ausnahms-
weise die an sich gegebene Inkompetenz zur Vornahme gewisser Amtshandlungen be-
seitigt wird (GVG. § 176; Rötraf P O. 8§ 21, 125, 141, 163, 185, 189). 2) Die
sachliche Kompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Hülfsorgane, inso-
fern als diese bei obwaltender V. solche Handlungen (Beschlagnahmen, Durch-
suchungen, Festnahme oder Ermittelungsakte) vornehmen können, die regelmäßig dem
richterlichen Amte vorbehalten sind (RStrafP O. 8§ 98, 100, 105, 127, 161). 3) Die
örtliche Kompetenz der Staatsanwaltschaft, insofern als deren Grenzen aus-
nahmsweise überschritten werden sollen (GVG. § 144). 4) Die gesetzliche Reihen-
folge der Strafprozeßakte, insofern eine sonst später folgende Amtshandlung ausnahms-
weise früher vorausgenommen werden darf, wie der Erlaß eines Haftbefehls durch
den Amtsanwalt vor erhobener öffentlicher Klage (Rötrafpt O. § 125), die Ver-
eidigung der Zeugen im vorbereitenden Verfahren (§ 65 ebendas.). — Von beson-
derer Wichtigkeit für das Recht des Beschuldigten sind unzweifelhaft diejenigen der
zweiten Kategorie angehörigen Fälle, in denen ohne entsprechende Steigerung der
persönlichen Verantwortlichkeit für etwaigen Mißbrauch, die sonst dem richterlichen
Amte vorbehaltenen Befugnisse der Beschlagnahme, Durchsuchung u. s. w. auf ad-
ministrative Organe übertragen werden. Da das Gesetz einen Begriff für die V. nicht
aufstellen kann und auch nicht einmal verlangt, daß das Obwalten einer Gefahr im
Verzuge aus gegebenen, im einzelnen Falle eingetretenen Umständen aktenmäßig be-
gründet werden solle, so beruht Alles auf der subjektiven Schätzung und dem Er-
messen der betheiligten Beamten. Was das Gesetz nominell als Ausnahme hinstellt,
kann thatsächlich zur Regel werden. Weder dem Englischen noch dem Französischen
Strafprozeß ist ein derartiges System von Ausnahmerechten der Behörden unter
dem Titel der V. bekannt; die Quelle desselben liegt darin, daß nach Deutschem
Strafprozeßrecht weder die akkusatorische Grundlage, die dem Staatsanwalt die Be-
treibung der Voruntersuchung anvertraut, noch die inquisitorische Maxime der aus-
schließlich richterlichen Untersuchungsführung gewahrt worden ist. Außer der ausdrück-
lichen Erwähnung der V. bezeichnet das Deutsche Strafprozeßrecht dasselbe That-
verhältniß mit anderen Worten so: „Handlungen, die keinen Aufschub gestatten“