Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Volksseuchen. 1161 
liegt der Sanitätspolizei die Aufgabe ob, für methodische zuverlässig kontrolirte 
Reinhaltung des Wohnbodens zu sorgen (vgl. d. Art. Städtereinigung). Der 
Einzelne kann sich in dieser Hinsicht nicht schützen, weil er unter der Sünde jedes 
Nachbarn mit zu leiden hat, überdies aber auch nicht überall im Stande ist, in- 
mitten städtischer Umgebung die richtigen Einrichtungen zur unschädlichen Wegführung 
aller gesundheitsgefährlichen Unrathstoffe für seine eigene Wohnung allein zu treffen. 
Hier muß daher die Gemeinde gemeinsame Fürsorge eintreten lassen und der Staat 
die Erfüllung dieser Gemeindeobliegenheit beaufsichtigen, wenn die Entstehung von 
V. verhütet werden soll. « 
Die als zweite Gruppe oben charakterisirten miasmatisch-kontagiösen 
Volksfeuchen bedingen gleichfalls eine dringende Aufforderung zur Reinhaltung 
des Wohnbodens, des Untergrundes unter Straßen, öffentlichen Plätzen u. s. w., da 
die Entwickelung der aus dem erkrankten Körper ausgeleerten Infektionskeime im 
Boden zu aktiven Wiedererzeugungen der Krankheit erfahrungsgemäß um so schneller 
und reichlicher stattfindet, je mehr der Boden mit fäulnißfähigen, organischen Stoffen, 
besonders solchen von animaler Herkunft, imprägnirt ist. Cholera und Ruhr pflegen 
überall mit Vorliebe an solchen Orten und in solchen Stadttheilen ihren Ver- 
breitungssitz zu wählen, welche bezüglich der Bodenreinigung lange ver- 
nachlässigt worden sind, und das Gleiche gilt vom Unterleibstyphus. Diese 
Thatsache ist durch weit zuverlässigere und übereinstimmendere Beobachtungen er- 
härtet, als die Behauptung, daß auch die Nachbarschaft verunreinigter 
Wasserläufe von jenen Seuchen vorzugsweise gefährdet sei. Wenigstens be- 
schränken sich die diesbezüglichen Beobachtungen bis jetzt auf die beiden Fälle, wo 
entweder dem betreffenden Wasserlaufe direkt Trinkwasser entnommen wurde oder 
wo bei niedrigem Wasserstande der trockene Uferboden zum Herde fauliger 
Gährung wurde. Daß dagegen die Ausdünstung von verunreinigten Wasserflächen 
selbst Infektionskrankheiten erzeugen könne, ist weder durch die Erfahrung bewiesen, 
noch auch theoretisch wahrscheinlich, nachdem Nägeli nachgewiesen hat, daß bei 
der Verdunstung von Flüssigkeitsflächen unter keinen Umständen organisirte, in der 
Flüssigkeit enthaltene Keime mit in die Atmosphäre geführt werden. Sowol Wissen- 
schaft wie Erfahrung weisen übereinstimmend auf den Boden, und zwar auf den 
abwechselnd durchfeuchteten und wieder austrocknenden, durch- 
lässigen Boden als den Bildungs= und Verbreitungsherd der Infektionskeime bei. 
den miasmatischen und miasmatisch-kontagiösen Krankheiten hin, und auf die Ver- 
hütung solcher Vorgänge in dem Wohn= und Stadt--Boden muß daher das eifrigste 
Bestreben der Gesundheitsbehörde gerichtet sein. Diese Verhütung erfordert eine 
stetige allgemeine Reinhaltung des Bodens auch in den seuchefreien Zeiten; 
sie erfordert aber eine ganz besondere Reinhaltung desselben und Maßregeln zu seiner 
sorgfältigsten Bewahrung vor dem Eindringen auch der geringsten Mengen von Aus- 
leerungsstoffen aus seuchenkranken Körpern zur Zeit herrschender Epidemien. Bei 
der unbegrenzten und raschen Reproduktionskraft der Infektionskeime würde hier die 
minimalste Aufnahme letzterer das gleiche Unheil im Gefolge haben können, wie der 
Eintritt größerer Massen, und jede Unterlassungsfünde eines Einzelnen würde die 
sämmtlichen Nachbarbewohner in unberechenbarer Erstreckung in Mitgefährdung ziehen. 
Es ist daher eine der wichtigsten Aufgaben der Gesundheitspolizei, durch Erlaß ge- 
eigneter Vorschriften und durch strenge Aufsichtsübung dafür zu sorgen, daß die 
Ausleerungen aller an den genannten Affektionen leidenden Kranken, sowie alle 
Gegenstände, welche mit solchen Ausleerungen in Berührung gekommen sind, nament- 
lich Wäsche, Bettzeug, Geschirre u. s. w., einer sorgfältigen und wirksamen Des- 
infektion unterworfen werden. Die bestehenden Vorschriften, z. B. in Preußen 
das noch gültige Regulativ für das Verhalten bei ansteckenden Krankheiten, vom 
8. August 1835 lassen in dieser Hinsicht viel zu wünschen übrig und tragen zum 
Theil das Gepräge längst von der ärztlichen Wissenschaft überholter Anschauungen.
	        
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