Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Volksseuchen. 1163 
darf der Transport solcher Leichen nach entfernten Orten oder gar in's Ausland 
nur unter solchen Bedingungen bezüglich der Sargbeschaffenheit geduldet werden, 
welche jede Gefahr eines Austrittes auch nur luftförmiger Stoffe aus dem Sarge 
während des Transportes oder bei der Beisetzung am Bestimmungsorte gänzlich aus- 
schließen. Daß es in dieser Hinsicht bis heute in Deutschland an übereinstimmenden 
Vorschriften fehlt und jeder Duodezstaat noch seine besonderen strengeren oder laxeren 
Bestimmungen über den Leichentransport innerhalb seines Gebietes besitzt, ist eine 
sehr bedauerliche Illustration zu den Einheitserrungenschaften auf dem Gebiete des 
öffentlichen Gesundheitsschutzes. 
Wenn kontagiöse und gefährliche Krankheiten in heftiger Form und Verbreitung 
auftreten, so genügen nicht die Maßregeln zur Isolirung der als krank erkannten 
Individuen, sondern es müssen auch vorbeugend alle diejenigen öffentlichen Anlässe 
vermieden werden, welche erfahrungsgemäß die Uebertragung der Krankheit — auch 
der noch nicht im Einzelfalle erkannten — von den befallenen auf andere Personen 
besonders leicht vermitteln. Alle größeren Anhäufungen von Menschen, 
Jahrmärkte, Kirchweihen, Wallfahrten u. dgl., müssen dann polizeilich verboten, und 
die Schulen, namentlich bei herrschenden Ausschlagsfiebern, geschlossen werden. 
Der Nichtbefolgung letztgenannter Regel sind alljährlich tausende von Verlusten 
jugendlicher Menschenleben durch Scharlachfieber und Masern zuzuschreiben. Schulen 
und Kirchen sind auf dem Lande die Hauptbrennpunkte für die Ausbreitung aller 
kontagiösen Krankheiten. Gegen die ehemals verheerendste aller V., gegen die 
Blattern, besitzen wir in der Impfung (vgl. d. Art. Impfwesen) ein 
Schutzmittel, welches, ohne von absoluter und unfehlbarer Wirkung zu sein, doch 
einen großartigeren Erfolg zur Rettung von Leben und Gesundheit aufweist als 
irgend eine andere Erfindung des Menschengeistes. Obgleich es zu den Erfordernissen 
einer vollkommenen Gesundheitspolizei gehört, dafür zu sorgen, daß die gesammte 
Bevölkerung zu jeder Zeit sich unter der Schutzwirkung geschehener Impfung befinde, 
so wird die Ausführung doch immer erheblich hinter diesem Ziele zurückbleiben, und 
es wird deshalb beim Ausbruche einer Blatternseuche stets eine der ersten öffentlichen 
Sorgen sein müssen, die vorhandenen Lücken in der Durchimpfung der gesammten 
Bevölkerung möglichst auszufüllen. Wenngleich eine Heranziehung der Erwachsenen 
zur Revaccination nicht mit polizeilichem Zwange geschehen kann, so wird doch 
durch geeignete öffentliche Belehrungen und Warnungen sowie durch kostenfreie, bequeme 
Gelegenheit zu Impfungen, auch zu solchen mit animaler Vaccine, der 
größte Theil der nicht mehr durch frühere Impfung geschützten Bevölkerung zur 
Wiederholung der schützenden Operation leicht zu bewegen sein, wenn die Gefahr 
einer Blatternerkrankung vor der Thür steht. 
Damit die Gesundheitsbehörde die erforderlichen Maßregeln zum Schutze der 
gesunden Bevölkerung gegen herrschende Seuchen treffen könne, muß ihr vor Allem 
eine möglichst vollständige und möglichst schnelle Benachrichtigung über alle 
Seuchenfälle, sowol über Erkrankungs= wie über Todesfälle gesichert werden. Zu 
diesem Zwecke ist es unumgänglich, diejenigen Personen, welche vermöge ihrer Be- 
ziehungen zu den Erkrankten am gewissesten und frühesten Kenntniß von deren Zu- 
stand haben, also die Haushaltungsvorstände und die behandelnden Aerzte, zur un- 
gesäumten Anzeige jedes einzelnen Falles gesetzlich zu verpflichten und polizeilich 
anzuhalten. Diese gesetzliche Anzeigepflicht besteht in allen größeren Deutschen 
Staaten, jedoch nur bezüglich einer beschränkten Zahl von kontagiösen Krankheiten, 
in Preußen z. B. nur bezüglich der Cholera, der Blattern und des Typhus, während 
bei Scharlach, Masern und Rötheln erst nach konstatirtem Herrschen besonders 
bösartiger oder besonders zahlreicher Fälle von der Polizeibehörde die Verpflichtung 
zur Anzeige weiter vorkommender Erkrankungsfälle festgestellt werden kann. Eine 
übereinstimmende Regelung auch dieser für die allgemeine Gesundheit hochwichtigen 
Frage für das gesammte Deutsche Reich wird als dringendes Bedürfniß empfunden. 
 
	        
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