Vormundschaft. 1177
vom 5. Juli 1875 giebt dem Vormund freie Bewegung und stellte eine Kontrole
in dem Gegenvormund und dem Einzelrichter auf, der nicht mehr selbständig ver-
waltet, sondern die obere Instanz bildet. Außerdem wird aus Gemeindemitgliedern
ein Waisenrath geschaffen, welcher die Abstellung von Mängeln und Pflichtwidrig-
keiten bei der bürgerlichen und sittlichen Erziehung der Pflegebefohlenen vorzugsweise
wahrzunehmen hat. Freilich wird von Einigen (vgl. Lyon, Geharnischte Streifzüge
in der V. Ordn., 1879) es getadelt, daß das Gesetz eine größere Geschäftskunde vor-
aussetzt, als bei dem gegenwärtigen Material von Vormündern anzutreffen ist —
was offenbar mehr einen Tadel gegen das bisherige Recht enthält — und daß die
Kontrole über das Vermögen des Mündels jetzt nicht mehr die frühere Sicherheit
bietet — was nicht ganz unbegründet erscheint. Früher lag in dem schleppenden
und büreaukratisch ängstlichen Gang der Verwaltung die Schädigung der Interessen
des Mündels auf der entgegengesetzten Seite.
B. Grundzüge des Gemeinen und Preußischen V.rechtes.
1) Die Bevormundeten. Nach Röm. Recht standen nur impuberes und
Frauen unter V.; die der letzteren fiel schon mit Ende der Kaiserzeit weg. Im
Altdeutschen Recht war eine große Anzahl von Personen dem mundium unterworfen,
aus welchem erst mit der Rezeption des Röm. Rechts die V. in klarer Form her-
vortrat. Ihr waren bis in die neueste Zeit auch Frauen (Geschlechts-V.) unter-
ordnet. Heutzutage giebt es nur noch eine Alters-V. der Minderjährigen; für die
anderen Arten hülfloser Personen ist die Pflegschaft stehen geblieben. Nach der
Preuß. V. Ordn. tritt die V. über Minderjährige, sowie über Großjährige ein, wenn diese
für geisteskrank oder zum Verschwender erklärt, oder taub, stumm oder blind und
an der Besorgung ihrer Rechtsangelegenheiten verhindert sind, endlich über Abwesende
(§8 81, 82). Eine Pflegschaft wird für Hausunterthänige oder Bevormundete in
einzelnen Angelegenheiten bestellt, wenn die Ausübung der väterlichen oder vormund-
schaftlichen Rechte thatsächlich oder rechtlich nicht stattfinden kann (§ 86).
2) Pflicht und Fähigkeit zur Uebernahme. Jeder Bürger ist zur
Uebernahme der V. verpflichtet; berechtigt sind Mütter, Großmütter und Geistliche,
soweit sie nicht unfähig sind. Fähig ist in der Regel Jeder, der nicht selbst einer
V. bedarf. Die unfähigen Personen theilen sich in zwei Klassen: solche, deren Be-
rufung nichtig ist (sog. e xcusatio necessaria), und solche, die trotz erfolgter Be-
rufung von der Ober-V. nicht anerkannt werden (s. d. Art. Ausschließungs-
gründe von der V.). Der Pflicht zur V. kann man sich nur bei dem Vor-
handensein gewichtiger Gründe entziehen (s. d. Art. Ablehnungsgründe des
Vormundes).
3) Berufung und Antritt, f. d. Art. Tutorium.
4) Die einzelnen Berufungsgründe.
a) Testament. Der Gewalthaber kann seinem unmündigen Kinde und seinem
posthumus in einem Testament oder bestätigten Kodizill einen Vormund ernennen.
Ursprünglich wie bei der Erbeinsetzung waren verba imperativa latina erforderlich,
später ist jede Form ausreichend und Bedingungen, Befristungen 2c. zulässig; der
Vormund mußte Erbeinsetzungsfähigkeit haben und individuell bezeichnet sein, auch
darf er nicht blos für einzelne Geschäfte bestellt werden: tutor personae non rei vel
causae datur. Die tutela testam. steht und fällt mit dem Testament außer bei
verletztem Pflichttheilsrecht, wo jene aufrecht erhalten bleibt (Nov. 115 c. 3). Ueber
Confirmatio tutoris f. d. Art. Tütorium. Nach der Preuß. V. Ordn. kann durch
Testament oder in einer gerichtlich oder notariell beglaubigten eigenhändig ge= und
unterschriebenen Urkunde der Vater einen Vormund berufen, wenn er die patria
potestas oder V. zur Zeit des Todes hatte. Eine gleiche Ernennung steht der
Mutter zu (6 17 Nr. 2 und 4).
b) Gesetz. In Ermangelung eines tut. testam. werden schon nach den
XII Tafeln, wie zur Intestaterbschaft, so auch zur V. die männlichen Agnaten und