Voruntersuchung. 1193
Gsgb. u. Lit.: Vgl. hinter dem Art. Korporation und den daselbst am Schluß an-
eführten Art. über einzelne Arten von Korporationen. — Bei dem Art. Innungen tritt
jetzt das Reichges. betr. die Abänderung der Gew.O. vom 18. Juli 1881 bin#. Giert
. Gierke.
Voruntersuchung ist dasjenige Stadium des Strafverfahrens, welches der
Erhebung der öffentlichen Klage gegen eine bestimmte Person wegen einer bestimmten
strafbaren Handlung nachfolgt und bis zu denjenigen Procedurakten reicht, welche die
Herbeiführung der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens
(s. diesen Art.) oder Versetzung in den Anklagestand unmittelbar bezwecken.
A. Vom Standpunkte der geschichtlichen Entwickelung bedeutet die
V. den Beitrag, den der gemeine Deutsche Inquisitionsprozeß zu dem neuesten Straf-
prozeß beigeisteuert hat; ja, in ihr ist jener Prozeß selbst zu einem Theil eines
größeren, von anderen Prinzipien beherrschten Ganzen geworden, oder vielmehr zu
einem solchen wieder geworden. Denn der gemeine Deutsche Strafprozeß hatte all-
mählich alle von größerer Formstrenge beherrschten Abschnitte des Verfahrens, den
endlichen Rechtstag und die Spezialinquisition mit dem artikulirten Verhör, abgestoßen
oder zu einer leeren Formalität herabgedrückt, seinen Schwerpunkt aber in dem
gefunden, was in einem anderen Sinne die V. oder summarische Inquisition genannt
wurde. Vor dieser waren allmählich alle Procedurabschnitte in den Hintergrund ge-
treten; in ihr hatten aber auch die leitenden Gedanken dieser Prozeßform einen
prägnanten und vollständigen Ausdruck gefunden: die Heimlichkeit, die Schriftlichkeit,
die Konzentrirung der Strafverfolgung in der Hand eines mit dem Recht und der
Pflicht der Initiative ausgestatteten, mit der Erprobung der von ihm selbst erhobenen
Beschuldigung durch einzig in seiner Hand zusammentreffende Nachforschungen und Be-
weisaufnahmen betrauten, die Erforschung der Wahrheit, unbeirrt durch Rücksichtnahme
auf Betheiligte, unbeschränkt durch Parteirechte derselben, anstrebenden Richters.
Das Ankämpfen gegen die hiermit verbundenen schweren Nachtheile ging in Deutsch-
land so wenig, als bei der Einführung der daselbst zunächst als Vorbild dienenden
Französischen Einrichtungen, so weit, daß die andererseits mit der schriftlichen V.
verbundenen Vortheile völlig verkannt wurden und die völlige Rückkehr zu dem
einfachen und freien Anklageprozeß, wie ihn das ältere Römische und Germanische
Recht gekannt hatte, angestrebt wurde. Die Transaktion zwischen den entgegen-
gesetzten Prinzipien ward vielmehr darin gesucht, daß die alte Untersuchung beibehalten,
aber als untergeordneter Bestandtheil einem Strafprozeß eingefügt wurde, dessen
Einleitung nicht auf der Initiative des Richters beruhen und dessen Abschluß eine
Hauptverhandlung bilden sollte, welche die akkusatorische Prozedurform zur Geltung
bringt, ein öffentliches und mündliches Verfahren bietet. Die allmählich eingetretene
Vertiefung der Reformbewegung berührte das Gebiet der V. verhältnißmäßig spät;
das sonst für jene maßgebende Englische Vorbild war hier nicht so leicht zu ver-
werthen, weil England selbst (im Gegensatz zu Schottland) mit diesem Theil seines
Verfahrens unzufrieden, erst gegen die Mitte des Jahrhunderts an denselben die
bessernde Hand legte, und noch fortfährt an dieser Verbesserung zu arbeiten und weil
auch die verbesserten und in England selbst nicht überall durchgeführten Einrichtungen
in mancher Beziehung ernste Bedenken erregen. Die eingehendste und, wie es scheint,
die spätere Entwickelung beeinflussende Erörterung fand die Frage der Beibehaltung
und der Reform der gerichtlichen V. auf dem dritten Deutschen Juristentage (1862),
wo folgende Resolutionen angenommen wurden, welche hier mit den Worten, mit
welchen sie dem Plenum von mir mitgetheilt wurden, wiedergegeben werden.
„I. Die gerichtliche Voruntersuchung muß beibehalten werden, weil nicht dem
Staatsanwalte, sondern nur einem unabhängigen richterlichen Beamten die Verfügung
über die Person des Angeschuldigten, die Aufnahme jener Beweise, welche in der
Hauptverhandlung nicht wieder vorgeführt werden können, endlich die Herbeischaffung
des Vertheidigungsmaterials anvertraut werden kann, — wobei ich die Bemerkung