Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1202 Voruntersuchung. 
daß die Sache vor das Geschworenengericht gehöre, in welchem Falle die V. obligat 
ist, oder daß es an genügenden Gründen fehle, um den Beschuldigten der That 
für verdächtig zu halten, so kann es auch die Anklageschrift aus dem ersten Grunde 
oder weil es dies zur besseren Aufklärung des Sachverhaltes für nothwendig erachtet, 
vorläufig zurückweisen, es ist sodann Sache des Staatsanwaltes binnen drei Tagen 
seine Anträge an den Untersuchungerichter zu stellen (§§ 211, 218 der Oesterr. 
Straf# O.). Nach der Deutschen Strafps O. muß die Anklageschrift dem An- 
geschuldigten mitgetheilt und ihm dabei Gelegenheit gegeben werden, eine Vorunter- 
suchung zu beantragen (§ 144); er wird sich dabei allerdings nicht auf den förm- 
lichen Antrag beschränken dürfen, da das Gericht dem Antrag nur Folge geben 
muß, wenn er „Werhebliche Gründe geltend macht, aus denen eine V. zur Vor- 
bereitung seiner Vertheidigung erforderlich erscheint“ (§ 176 3. 2). Uebrigens kann 
das Gericht auch ohne Antrag des Angeschuldigten, angesichts einer Anklageschrift 
der Staatsanwaltschaft die Eröffnung einer V. anordnen (§ 200). 
D. Gang der V. „Die V. wird von dem Untersuchungsrichter eröffnet und 
geführt“ (Denhch. StrafP O. § 182). „Ist die V. eingeleitet, so schreitet der 
Untersuchungsrichter von Amtswegen und ohne weitere Anträge des Anklägers ab- 
zuwarten, ein, um den Thatbestand zu erheben, den Thäter zu ermitteln und die 
zur Ueberführung oder Vertheidigung des Beschuldigten dienenden Beweismittel so- 
weit festzustellen, als es der Zweck der V. erfordert“ (Oesterr. StrafP O. § 96). 
Damit ist die prinzipiell inquisitorische Form der V. gesetzlich sanktionirt: die V. 
selbst ist vermöge der Initiative der Staatsanwaltschaft nicht mehr eine Verwirk- 
lichung des Untersuchungsprinzips, aber der Vorgang innerhalb der V. ist der in- 
quisitorische; Anfang und Ende sind an die Mitwirkung Anderer unbedingt gebunden, 
zwischen Beiden erwartet das Gesetz in erster Linie von der spontanen Thätigkeit 
des Untersuchungsrichters die Erreichung der Zwecke dieses Prozeßabschnittes. Immer- 
hin aber war ja selbst bei der schärfsten Ausbildung des inquisitorischen Prozesses 
eine gewisse Mitwirkung des Inaguisiten nicht auszuschließen, und im modernen 
Prozeß, wo die Thätigkeit der Staatsanwaltschaft auch in die V. hineinreicht, 
mußte auch das Parteirecht des Angeschuldigten deutlicher anerkannt werden. In 
materieller Hinsicht ist beiden Parteien nur ein Recht der Antragstellung zu- 
erkannt, welches wesentlich die Vollständigkeit der Erhebungen zu fördern geeignet 
sein wird, immerhin auch den Zweck verfolgen kann, der V. eine geänderte Richtung 
vorzuzeichnen. Die Entscheidung über solche Anträge steht zunächst dem Untersuchungs- 
richter zu. Die Verpflichtung des Untersuchungsrichters auf Beachtung desjenigen, 
was der Angeschuldigte zur „Beseitigung der gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe 
und zur Geltendmachung der zu seinen Gunsten sprechenden Thatsachen“ vorbringt 
(Deutsche StrafP O. § 136 Abf. 2), ist schon oben betont worden. Zu diesem Zwecke ist 
aber Kenntniß der Vorfälle der V., ein gewisses Maß von Parteienöffentlichkeit 
unerläßlich nöthig. Dies war selbst im alten Gemeinen Prozeß anerkannt, und von 
dorther ist die Pflicht des Untersuchungsrichters, dem Angeschuldigten zu seiner 
materiellen Vertheidigung Gelegenheit zu geben, und also ihn mit den Ergeb- 
nissen des Verfahrens bekannt zu machen, in die neuesten Gesetze übergegangen. Die 
oben angeführte Bestimmung der Deutschen StrasP O. § 136 ist zwar nur für das 
Vorbereitungsverfahren ausdrücklich ertheilt, findet aber naturgemäß auch auf die 
V. Anwendung. Ein Antrag auf Anordnung eines förmlichen Schlußverhörs am 
Ende der V. war bei Berathung der Deutschen StrafP O. bereits angenommen 
worden; später ließ man wol die Bestimmung wieder fallen, und zwar aus dem 
gleichen Grunde, aus welchem auch in die Oesterr. StrafPP O. von 1873 die ana- 
loge Anordnung ihrer Vorgänger nicht ausgenommen wurde (vgl. Mayer, Hand- 
buch, I. S. 507), weil sie nämlich in formeller Hinsicht durch die Vorgänge bei 
der Versetzung in Anklagestand ersetzt wurde; allein in materieller Hinsicht sollte 
dadurch nichts an der Pflicht des Untersuchungsrichters geändert werden, den An-
	        
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