1214 Bahlgesetze.
ihrem Bestande dadurch gesichert, daß ihnen ausdrücklich der Charakter eines Ver-
fafsungsgesetzes beigelegt, ihre Abänderung also von der Einhaltung der erschwerenden
Formen abhängig gemacht wird, welche in den Verfassungsurkunden selbst für deren
Abänderung festgesetzt worden sind.
Die W. der einzelnen Deutschen Länder sind nach der Zeit ihrer Entstehung
außerordentlich verschieden. In den älteren W. herrscht die Tendenz, die alten
Geburts= und Berufsstände, wie sie regelmäßig in den altlandständischen Verfassungen
vertreten gewesen waren, auch in den modernen Repräsentativverfassungen zur Grund-
lage der aktiven und passiven Wahlfähigkeit zu machen oder doch die Wahlberech-
tigung und die Wählbarkeit hauptsächlich an den ritterschaftlichen, städtischen und
bäuerlichen Grundbesitz zu knüpfen. Die neueren W. haben dagegen dem Wahlrecht
in aktiver wie passiver Beziehung eine immer größere Ausdehnung gegeben, bis
endlich das W. für den Norddeutschen und nunmehr Deutschen Reichstag das
allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht eingeführt hat.
Was zuerst die aktive Wahlfähigkeit, d. h. das Recht, zu der Wahl eines
Mitgliedes der Ständeversammlung eine Stimme abzugeben, betrifft, so ist dieselbe
am beschränktesten hinsichtlich aller derjenigen Plätze der ersten Kammern, welche
durch Wahl vergeben oder doch durch die auf Grund einer Wahl vollzogene landes-
herrliche Ernennung besetzt werden. Um nämlich an der Wahl des Mitglieds einer
ersten Kammer Theil nehmen zu können, muß der Wähler regelmäßig demjenigen
Berufs= oder Geburtsstande, bzw. derjenigen Klasse des letzteren angehören, welche
durch den Gewählten vertreten werden soll. So können die in dem Preußischen
Herrenhause den Besitzern des alten und befestigten Grundbesitzes eingeräumten Plätze
nur auf Grund einer Wahl von Seiten dieser Besitzer durch den König besetzt werden;
so steht nur den mit einem Rittergute angesessenen Grafen ein Recht zu, einen Ver-
treter der einzelnen Preußischen Grafenverbände zu wählen und dem Könige zur
Berufung in das Herrenhaus zu präsentiren.
Das Gleiche gilt für diejenigen Staaten des Einkammersystems, deren Volks-
vertretungen aus einzelnen, nach Geburtsstand, Grundbesitz, Beruf, Vermögen u. dal.
bestimmten Gruppen bestehen: auch in ihnen kann der Vertreter der einzelnen Klasse
nur von den Mitgliedern dieser Klasse gewählt werden.
Weniger beschränkt ist durchgehends die aktive Wahlfähigkeit hinsichtlich der
Zusammensetzung der zweiten Kammern. Vor dem Jahre 1848 war man freilich
überall darauf bedacht, das Gewicht der Kopfzahl bei den Wahlen für die zweiten
Kammern möglichst abzuschwächen, da dasselbe selbstverständlich bei einem unter-
schiedslos gleichen Stimmrecht Aller das Gewicht der Bildung und der wirthschaft-
lichen Bedeutung vollkommen aufzuheben im Stande ist. In Folge dieser Erwägung
theilten die älteren W. und Verfassungen die Bevölkerung durchgehends in gewisse,
durch Vermögen, Gewerbe, Grundbesitz bestimmte Klassen, deren jede eine bestimmte
Zahl von Abgeordneten zu wählen hatte. Regelmäßig wurden die Wähler in drei
Hauptgruppen getheilt, von welchen die erste aus den Rittergutsbesitzern, die zweite
aus den Bürgern der Städte und die dritte aus den kleinen bäuerlichen Grund-
besitzern bestand, zu denen in einzelnen Verfassungen (wie Bayern, Württemberg)
noch Vertreter der Kirche und der Universitäten hinzukamen. Im Einzelnen war
diese Zusammensetzung der zweiten Kammern in den verschiedenen Ländern verschieden;
während nämlich ein Theil der Verfassungen aus dem Zeitraum von der Gründung
des Deutschen Bundes bis zu dem Jahre 1848 regelmäßig an dieser Dreitheilung
der Wähler festhält, gehen andere Verfassungen (z. B. Sachsen) und W. aus der-
selben Periode darauf aus, das hervorragende Gewicht des Grundbesitzes zu mindern
und dafür dem nicht in Grundbesitz bestehenden Vermögen, ferner den gelehrten Be-
rufsständen, dem Gewerbe und dem Handel eine größere Bedeutung in den land-
ständischen Versammlungen zu sichern (die sog. Interessenvertretung).