1216 Wahlgesetze.
gelegt worden. Dann hatte die Norddeutsche Bundesverfassung ausdrücklich bestimmt,
daß der Reichstag aus allgemeinen Wahlen hervorgehen solle, und endlich ist durch
die Berathungen des ersten ordentlichen Reichstags das W. für den Norddeutschen
Reichstag vom 31. Mai 1869 festgestellt worden, welches die in den einzelnen Nord-
deutschen Bundesländern für die Reichstagswahlen erlassenen Gesetze und Verord-
nungen aufhebt, seit der Begründung des Deutschen Reichs aber auch für die Süd-
deutschen Staaten Geltung hat. Das W. vom 31. Mai 1869 spricht jedem männ-
lichen, mehr als 25jährigen, innerhalb des Norddeutschen Bundesgebietes, und nun-
mehr des Deutschen Reiches wohnenden Deutschen die aktive Wahlfähigkeit zu. Doch
sind alle Diejenigen, welche sich als Soldaten, gleichviel ob als Offiziere oder Ge-
meine, als Reservisten oder Landwehrmänner, im Heere oder in der Marine, bei der
Fahne befinden, ferner Diejenigen, welche unter irgend einer Vormundschaft stehen
oder endlich im Zustande des Konkurses sind, so lange nicht wahlberechtigt, als dieser
Zustand dauert. Endlich sind die aus öffentlichen oder Gemeindemitteln unterstützten,
bzw. im letzten der Wahl vorangegangenen Jahre unterstützt gewesenen, sowie die-
jenigen Personen, denen in Folge rechtskräftigen Erkenntnisses der Vollgenuß der
staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Entziehung nicht wahlberechtigt.
Eine Verurtheilung wegen politischer Verbrechen und Vergehen zieht den Verlust der
Wahlberechtigung nur für die Zeit bis zum Ablaufe der Strafvollstreckung oder bis
zu der etwaigen Begnadigung nach sich. —
Die passive Wahlfähigkeit, d. h. das Recht, als Abgeordneter gewählt, zu
werden, ist überall von denselben Eigenschaften abhängig, an deren Vorhandenfein
die aktive Wahlfähigkeit geknüpft ist. Doch haben die meisten W. noch eine Reihe
anderer Erfordernisse aufgestellt, durch welche die passive Wahlfähigkeit bedingt ist.
Auch hier ist ein allmählicher Fortschritt zu freisinnigeren Bestimmungen von den
älteren W. bis zu den neueren zu erkennen.
Früher war bei der gruppenweisen Zusammensetzung der Landtage, wie sie sich
noch immer in den meisten Staaten des Einkammersystems findet, regelmäßig vor-
geschrieben, daß der Abgeordnete jeder Gruppe auch dieser selbst angehören müsse,
Bestimmungen, welche sich in entsprechender Weise da wiederholen, wo in den ersten
Kammern Sitze durch Wahl besetzt werden. Eine selbstverständliche Beschränkung
der Wählbarkeit war die Bestimmung, daß Jemand, der bereits Mitglied der ersten
Kammer sei, nicht zugleich zum Abgeordneten für die zweite Kammer gewählt werden
dürfe. Ferner galt früher hin und wieder, daß der einzelne Abgeordnete in dem
Wahlkreise, in welchem er gewählt worden, auch wohnhaft sein müsse. Endlich war
häufig ein längerer, zwei-, drei= oder fünfjähriger Aufenthalt im Lande, sowie stets
ein höheres Alter als Bedingung für die passive Wahlfähigkeit vorgeschrieben, meistens
30 Jahre; für die passive Wahlfähigkeit zur ersten Kammer wurde hin und wieder
sogar die Erreichung des 40. Lebensjahres gefordert. Schließlich bestimmten die W.
wol auch einen höheren Census für die passive wie für die aktive Wahlfähigkeit,
oder sie forderten da, wo die aktive Wahlfähigkeit an dergleichen Voraussetzungen
nicht gebunden war, für die passive Wahlfähigkeit überhaupt die Entrichtung eines
bestimmten Steuerbetrags oder auch einen Grundsatz von bestimmtem Ertrage.
Staatsdiener sind zwar von jeher in Deutschland für passiv wahlfähig erklärt
worden; aber auch der Eintritt der Staatsdiener in eine Ständeversammlung war
in den älteren Verfassungen an den von der Regierung ertheilten Konsens gebunden.
Erst neuere Wahl= und Verfassungsgesetze bestimmten, daß gewählte Staatsdiener
entweder gar keines Urlaubs bedürfen oder daß ihnen derselbe nicht oder nur aus
besonderen, dem Landtage mitzutheilenden oder von diesem zu genehmigenden Gründen
verweigert werden könne.
Nachdem die neueren, unter der Einwirkung des Jahres 1848 entstandenen W.
durchgehends die Bedingungen der Wählbarkeit gemildert hatten, hat das W. zum
Norddeutschen Reichstag auch auf diesem Gebiete den Forderungen des Liberalismus