Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

1222 Wahrheitsbeweis. 
würdigung im vollen Umfange. Eine Präsumtion der Unwahrheit, welche der An- 
geklagte zu widerlegen hätte, besteht nicht. 
3) Bei der verleumderischen Beleidigung (Straf##B. § 187) ist der W. jeden- 
alls von untergeordneter Bedeutung, da die Anwendung dieses Paragraphen nicht 
die Unerweislichkeit, sondern die Unwahrheit der behaupteten Thatsache und das 
Wissen um diese Unwahrheit auf Seiten des Angeklagten voraussetzt. Doch wird 
das Gericht Anträge, die auf Erbringung des W. gerichtet sind, nicht ablehnen 
dürfen, da durch Erbringung desselben eine Verurtheilung auf Grund sowol des § 187, 
wie auch zugleich des § 186 ausgeschlossen wird. Anderer Meinung: Rüdorff, 
S. 868 N. 2, und Dochow, S. 261. Bezüglich der Anwendbarkeit der §§ 190 
und 191 vgl. unten. 
4) Dasselbe gilt bezüglich der Beschimpfung des Andenkens Verstorbener (6 189 
des Straf G.). 
Als erbracht ist der W. anzusehen, wenn die behauptete Thatsache im Allge- 
meinen wahr ist, selbst wenn die erweislichen Einzelheiten der fraglichen Handlung 
mit den behaupteten nicht ganz übereinstimmen, z. B. wenn die Vornahme un- 
züchtiger Handlungen, wenn auch anderer als der behaupteten, nachweisbar ist 
(vgl. das Urtheil des Reichsgerichts vom 7. April 1880 — Entsch. II. S. 2). Doch 
dürfen die Abweichungen nicht der Art sein, daß dadurch der Charakter der fraglichen 
Handlung wesentlich modifizirt erscheint. So wäre z. B. der W. nicht erbracht, 
wenn die Behauptung lautete: A. habe einen Meineid geleistet, während nur ein 
Falscheid erweislich ist. So v. Schwarze, S. 575; Olshausen, S. 666 N. 9. 
Näheres bei Kronecker und den dort Citirten. (Kronecker selbst hält eine in 
diesem Sinne ergangene Entsch, des Kammergerichts für zwar gerecht, aber de lege 
lata unrichtig.) Dasselbe gilt bezüglich eines Irrthums über Zeit und Ort der be- 
haupteten Handlung, falls dieselbe nur vor der geschehenen Behauptung wirklich be- 
gangen wurde. 
Ebenso wie der W. selbst, wurde früher auch der Gebrauch von gewissen Be- 
weismitteln bei der Beweisführung theils ganz ausgeschlossen, theils erheblich be- 
schränkt. Dies galt auch noch für das Preuß. StrafSB. Zwar wurde in § 157 
der Satz ausgesprochen, daß der W. durch alle im Strafprozeß zulässigen Beweis- 
mittel geführt werden könne, allein in demselben Paragraphen wurde dann der 
Zeugenbeweis beschränkt und der W. gegenüber einem rechtskräftigen Urtheil, durch 
welches der Beleidigte von der ihm vorgeworfenen strafbaren That freigesprochen war, 
ausgeschlossen. Die erstere Beschränkung hat das Deutsche Straf GB. ausgehoben, 
die letztere dagegen beibehalten (§ 190) und nur hinzugesetzt, daß die Freisprechung 
vor der Behauptung oder Verbreitung der betreffenden Thatsache erfolgt sein muß. 
Der W. ist aber (StrafG B. § 190) auch umgekehrt als erbracht anzusehen, 
wenn ein rechtskräftiges verurtheilendes Erkenntniß vorliegt. Dasselbe braucht der 
geschehenen Behauptung oder Verbreitung nicht vorhergegangen zu sein, es genügt, 
wenn dasselbe noch während des Injurienprozesses erfolgte. — Beide Bestimmungen 
des § 190 können bedernklich erscheinen, da sie in manchen Fällen die materielle 
Wahlheit. nicht aufkommen lassen, wo dies möglich wäre. Doch sind sie mit Rück- 
sicht auf die Bedeutung, welche der res indicata im Strafprozeß auch sonst beigelegt 
wird, wol nicht ungerechtfertigt. Nur das muß unbedingt verwerflich erscheinen, 
daß es einen Unterschied macht, ob das freisprechende Erkenntniß vor oder nach der 
geschehenen Behauptung ergangen ist. Nicht darauf darf es ankommen, ob der Be- 
hauptende von dem Urtheil Kenntniß hatte oder hätte haben können, sondern nur 
darauf, daß eine definitive gerichtliche Entscheidung zu der Zeit ergangen war, wo 
der W. in Frage kommt, der möglicherweise in Gegensatz zu derselben treten könnte. 
Keinesfalls darf § 190 ausdehnend interpretirt werden. Daraus folgt: 
1) Der W. wird nur durch ein freisprechendes Urtheil, nicht auch dadurch aus- 
geschlossen, daß die Staatsanwaltschaft den Beschluß gefaßt hat, die Untersuchung 
 
	        
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