Wahnsinn und Blödsinn — Wahrspruch. 1223
wegen Mangels an Beweisen nicht zu eröffnen (vgl. Urtheil des Reichsgerichts vom
22. Dezember 1879 — Entsch. I. S. 40).
2) Wenn der W. auf Grund des § 190 ausgeschlossen ist, muß eventuell eine
Verurtheilung aus § 186 erfolgen. Nicht jedoch auch aus § 187, wenigstens nicht
allein deshalb, weil dem Angeklagten das freisprechende Urtheil bekannt war. Viel-
mehr bedarf es auch in diesem Falle noch eines besonderen Beweises dafür, daß er
wider besseres Wissen gehandelt habe. Die Thatsache, daß res indicata vorliegt,
verpflichtet Niemanden, sich von der Richtigkeit des fraglichen Urtheils überzeugt zu
halten, eine Anwendung des § 190 auf die Fälle des § 187 enthielte die Aufstellung
einer durchaus ungehörigen praesumtio doli. So mit Recht Binding und dem
Sinne nach auch Rüdorff und Dochow.
3) Fraglich ist, ob der W. auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Freisprechung
erfolgte, nicht weil der Beleidigte die That nicht begangen habe, sondern weil Straf-
ausschließungsgründe, z. B. Eintritt der Verjährung u. s. w., vorhanden oder Be-
dingungen der Strafverfolgung nicht vorhanden waren, z. B. der nothwendige Straf-
antrag fehlte. Hier liegt res ijudicata nur bezüglich der Strafbarkeit vor und nur
bezüglich dieser ist der W. durch das Urtheil ausgeschlossen, in der Sache selbst
aber sind alle sonst im Strafprozeß zulässigen Beweismittel auch hier anwendbar.
Diese Entscheidung ist jedoch nicht unbestritten.
Um die Anwendung des § 190 zu sichern, ist in § 191 vorgeschrieben, daß,
falls die Beleidigung in dem Vorwurf einer strafbaren Handlung besteht und wegen
letzterer zum Zweck der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige
gemacht worden ist, die Entscheidung über die Beleidigung ausgesetzt werden muß, bis
der Beschluß gefaßt ist, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder
die eingeleitete Untersuchung beendigt wurde. Offenbar steht diese Vorschrift mit dem
W. in engstem Zusammenhang und ist deshalb gegebenen Falls überall da anzu-
wenden, wo jener möglich ist. Die Anwendbarkeit auf die §§ 185 und 187 (6 189
kommt selbstredend nicht in Betracht) ist nicht unbestritten. Näheres vgl. bei
Zimmermann.
Da der W. stets Theil eines Strafprozesses ist, so können andere als straf-
prozessualische Beweismittel nicht zur Anwendung kommen, namentlich ist Beweis
durch Eideszuschiebung an den angeblich Beleidigten unstatthaft.
Lit.: Vgl. neben der ceinschlägigen Lit. die Angaben Pinter dem Art. Beleidigung. —
Frrner Mittermaier im Archiv des Kriminalrechts N. F. 1839 S. 1 ff. — Köstlin in
oltdammer's Archiv III. S. 306 ff. — Zimmermann im Gerichtssaal XXVIII.
S. 432 ff. — Kronecherg ebenda XXXII. S. 62 ff. — v. Schwarze, ebenda S. 561 ff. —
Binding, Normen, II. 610 ff.; vgl. auch S. 601 Note 892. — Die Kommentare von
Oppenhoff (8. Aufl.) v. S (4. Aufl.), Rüdorff E Muf#l# Olshausen= zu den
krir. Poragrahen. — Die Lehrbücher von Verner (II. Aufl.), ff Schütze
2. Aufl.), 367 H. Meyer (2. Aufl.), S. 433; v. öi tt 6. - — Dochow in
Se usde E Handbuch des Deutschen Strafrechts III. S. 360 ff.
v. Lilienthal.
Wahnsinn und Blödfinn s. Zurechnungsfähigkeit.
Wahrspruch (vere dictum, verdict) ist der Ausspruch der Geschworenen über
die in der Anklage angeregte Schuldfrage. Nach Englischem Recht ist dabei die
Bezugnahme auf die Anklage eine unmittelbare und die Antwort der Geschworenen,
welche mündlich und daher ziemlich formlos abgegeben wird, kann neben dem ein-
fachen „Schuldig"“ oder „Nichtschuldig“ mancherlei Varianten bieten; sie wird daher
erst vom Gerichtshof in Form gebracht, zu Protokoll genommen und nöthigenfalls
den Geschworenen mit der Frage verlesen: Ist dies Euer W. ?7 — In Frankreich,
Italien, Oesterreich u. Deutschland findet dagegen eine selbständige, schrift-
liche Fragestellung (s. diesen Art.) an die Geschworenen statt, durch welche der
wesentliche Inhalt des W. für die zwei regelmäßigen Fälle der einfachen Bejahung oder