1226 Wahrspruch.
Geschworenen der Abstimmung über die für diesen Fall gestellte Zusatzfrage (Neben-
frage) enthalten; ihre Stimmen werden dann den dem Angeklagten günstigsten
zugezählt.
Der Obmann zählt sodann die Stimmen, konstatirt das Abstimmungsergebniß
und schreibt dasselbe auf dem Fragebogen auf die neben der Frage offengelassene
zweite Hälfte des Bogens. Da, wo die Gesetze es vorschreiben, oder wo es für das
weitere Verfahren nothwendig ist, setzt er auch das Stimmenverhältniß an.
In Bezug auf das nothwendige Stimmenverhältniß besteht große Mannig-
faltigkeit. Bekanntlich verlangt das Englische Recht einen einstimmigen Ausspruch
der Geschworenen; allein es geschieht dies nicht, wie in Braunschweig der Fall
war, in der Form, daß die dem Angeklagten zur Last gelegte Thatsache als ver-
neint zu gelten hat, wenn sie nicht einstimmig bejaht ist; sondern es wird die
Einstimmigkeit auch für den W. „Nichtschuldig“ gefordert. Das hat nun die
schlimme Folge, daß nach altem Gebrauche die Geschworenen beisammen gehalten
werden können, bis sie sich geeinigt haben, und wenn auch in unserer Zeit die bar-
barischen Uebertreibungen dieses Zwanges zur Einstimmiggkeit leicht beseitigt werden
können, so bleibt doch der Uebelstand, daß ein Einzelner, welcher aus unlauteren
Motiven entschlossen ist, die Ansicht der Uebrigen nicht zur Geltung kommen zu
lassen, dazu die Macht hat, und daß jedenfalls die Sache nicht ausgetragen und
der Angeklagte neuerlicher Verfolgung ausgesetzt ist. — Andererseits fand es die
überwiegende Mehrzahl der Schwurgerichtsgesetze bedenklich, sich für das „Schuldig“
mit einer einfachen Majorität (7) der zwölf Stimmen zu begnügen. Die große
Mehrzahl fordert eine Zweidrittelmehrheit, so daß eine auf Konstatirung der Schuld
(nur nach wenigen Gesetzen auch eine auf Strafschärfungsgründe) gerichtete Frage als
verneint gilt, wenn sie nur von 7 Geschworenen bejaht wird. Bekanntlich hat die
Französische Gesetzgebung für diesen letzteren Fall einen Ausweg in der Heranziehung
des Gerichtshofes zur Entscheidung der Schuldfrage gesucht, mit dieser ganz will-
kürlichen und unzweckmäßigen Bestimmung aber so oft Aenderungen vornehmen
müssen, daß damit allein schon die Bedenklichkeit dieses, in Frankreich selbst seit
1853 aufgegebenen legislativen Vorganges klar gemacht ist. Trotzdem hatte der-
selbe nicht blos in Preußen, sondern noch in neuerer Zeit in Hessen-Darmstadt
Eingang gefunden, und zwar in der Form, daß bei einem mit nur 7 Stimmen
ausgesprochenen „Schuldig“ der Gerichtshof allein den entscheidenden W. fällte.
Die Deutsche StrafPP O., welche in § 262 für jede dem Angeklagten nach-
theilige Entscheidung, welche die Schuldfrage betrifft (und dazu rechnet sie ausdrück-
lich die Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen),
eine Mehrheit von zwei Drittheilen der Stimmen fordert, schreibt bezüglich des W.
(5§ 307) vor: „Bei jeder dem Angeklagten nachtheiligen Entscheidung ist anzugeben,
daß dieselbe mit mehr als sieben Stimmen, bei Verneinung der mildernden Um-
stände, daß dieselbe mit mehr als sechs Stimmen gefaßt worden ist. Im Uebrigen
darf das Stimmenverhältniß nicht ausgedrückt werden.“ Im Gegensatz hierzu ver-
langt die Oesterreichische Strafs O. (§ 329), daß bei jeder Antwort auch das
Stimmenverhältniß angegeben werde. „Zur Bejahung der Schuldfrage, sowie zur
Bejahung der in Betreff erschwerender Umstände gestellten Fragen ist eine Mehr-
heit von wenigstens zwei Drittheilen der Stimmen erforderlich. In allen anderen
Fällen entscheidet die einfache Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit giebt die
dem Angeklagten günstige Meinung den Ausschlag.“ In den Motiven zur Regie-
rungsvorlage war bezüglich der Anordnung der Stellung einer besonderen Frage über
Strafausschließungsgründe u. s. w. bemerkt:
„Die Einrichtung der StrafPp O. von 1850, nach welcher Behauptungen dieser
Art den Gegenstand einer besonderen Frage bilden, hat fast allgemeine Billigung
gefunden, und es läßt sich nicht verkennen, daß dadurch die Aufgabe der Jury we-