Wegeservituten. 1299
titel. Eine neue W. war seit 1820 vorbereitet, seit 1862 dem Preußischen Landtag
vorgelegt, aber nicht zu Stande gebracht wegen des fortdauernden Widerstandes
kollidirender Interessen. Für diese Gesetzgebung handelt es sich 1) um die Neu-
bildung eines gesetzlichen Gemeindesteuersystems, neben welchem die Natural-
dienste in der heutigen Volkswirthschaft nur noch eine ergänzende, fakultative Be-
deutung haben können; 2) um die Organisation des Personals zur verantwort-
lichen Verwaltung unter Beihülfe befoldeter technischer Beamten, also um Ein-
richtungen, die für isolirte Dorfgemeinden und Gutsbezirke nicht zu beschaffen
sind, sondern die Bildung größerer Wegedistrikte (Amtsbezirke) voraussetzen;
3) um ein verantwortliches Personal zur Ausführung der gesetzlichen
Normativbestimmungen und der Verwaltungsjurisdiktion, welches
nur in der kollegialischen Formation einer verwaltenden Kreisbehörde, analog den
friedensrichterlichen Sessionen im Englischen Selfgovernment, zu bilden ist. — Die
Verwaltungsreform in Preußen hat seit der Kreisordnung von 1872 zu einer an-
gemessenen Gestalt der Wegepolizeiverwaltung und der Rechtsprechung geführt, ist aber
mit einer Allg. W. und mit der Regelung der Kommunnalsteuern noch im Rück-
stand. — Die volle Entwickelung der Wegegesetzgebung wird folgerichtig zu einem
neuen System einer Kreis= und Gemeindeverwaltung führen. Die Gestaltung der Vizinal-
wege ist für Ackerbau und Handelsverkehr nicht weniger Lebensfrage als das System
der Chausseen und Eisenbahnen; oder vielmehr alle drei Systeme setzen sich gegen-
seitig voraus als Lebensbedingung der heutigen Erwerbsgesellschaft.
Lit.: Für England: R. Gneist, Selfgovernment, Kommunalverfassung und Verwal-
tungsgerichte in England, 3. Aufl. 1871, Kap. XII. — Für Frankreich: A. Batbie,
Cours du droit public, 3. éd. 1869, p. 457—483. — Für Deutschland: Zachariä,
Deutsches Staats= und Bundesrecht, II. § 196. — v. Rönne, Preuß. Staatsrecht, II. b,
08 414 u. 15; Derselbe, Die Wegepolizei und das Wegerecht des Preuß. Staats, Breslau
1852. — De lege ferenda: Gneist, Preuß. Kreisordnung, 1870, Abschn. X. h. — Die jetzige
Lage der Preuß. Gesetzgebung in v. Brauchitsch, Die Organisationsgesetze der Preuß. V.,
4. Aufl. 1881. Gneist.
Wegeservituten (Th. I. S. 401). Das Röm. Recht kennt drei juristisch
ausgestaltete W., iter, actus und via, deren Bedeutung sich, soweit nicht der
besondere Rechtstitel der Entstehung eine Bestimmung trifft, nach den Vorschriften
des Gesetzes regelt. Hiernach giebt die serv. itineris das Recht, über die fremden
Grundstücke zu gehen, zu reiten und Gegenstände, z. B. eine Sänfte, zu tragen, die
serv. actus außer den ebengedachten Befugnissen noch das Recht des Fahrens und
des Viehtreibens, die via neben allen diesen Befugnissen auch noch die, Gegenstände
zu schleifen; überhaupt ist mit der via nach überwiegender Ansicht das Recht ver-
bunden, eine kunstmäßig hergerichtete, ausschließlich dem Verkehrszwecke bestimmte
Straße auf fremdem Eigenthum zu haben, die geradeaus 8 Fuß, in Krümmungen
16 Fuß Breite besitzen darf; so Puchta, wogegen Keller dies nur für den that-
sächlich gewöhnlichen Zustand hält. Für gewisse eng begrenzte Fälle, namentlich
wenn der Zugang zu einem locus religiosus abgeschnitten ist, kennt das Röm. Recht
die gesetzliche Verpflichtung des Eigenthümers, über sein Grundstück einen Nothweg
einzuräumen. Die Bestimmungen des Deutschen Rechts über die Wegedienst-
barkeiten entwickelten sich nach den besonderen landwirthschaftlichen Bedürfnissen
unabhängig vom Röm. Recht und wurden nur in einer sehr äußerlichen Weise mit
den Röm. Normen nach deren Reception in Beziehung gesetzt. Vor Allem ist schon
in den älteren Quellen des Deutschen Rechts als eine aus den Bedürfnissen der
damaligen Landwirthschaft, insbesondere des Dreifeldersystems, sich ergebende Befugniß
anerkannt, daß der Besitzer eines mit Zufahrtswegen nicht versehenen Grundstücks
einen Zugang oder eine Zufahrt über die Nachbargrundstücke nehmen darf und zwar
an der Stelle, wo ihm der Zugang am zweckmäßigsten, nächsten und für Andere
am wenigsten nachtheilig geboten werden kann. Nach Einführung des Röm. Rechts
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