Wiederaufnahme des Strafverfahrens. 1325
Hauptsache, das judicium rescissorium, wird aber immer als Fortsetzung des ersteren
angesehen. Wird die Klage bei dem Revisionsgericht verhandelt, so hat dasselbe,
obwol ihm der Regel nach die Würdigung bestrittener Thatsachen entzogen ist und
es nöthigenfalls die Sache in die frühere Instanz zurückzuweisen hat, stets das
indicium rescindens (nicht das rescissorium) zu erledigen, selbst wenn es dabei auf
die Feststellung und Würdigung von Thatsachen ankommt.
Im Uebrigen kommen die allgemeinen Vorschriften über den Anwaltsprozeß zur
Anwendung. Indessen ist eine Eideszuschiebung zum Beweise der Thatsachen, welche
die Restitutionsklage begründen, ausgeschlossen. Rechtsmittel gegen die Entscheidungen
über die beiden Klagen sind insoweit zulässig, als sie überhaupt gegen die Urtheile
der betreffenden Gerichte statthaben.
Man hat neuerdings, so Schwalbach, Archiv für civ. Praxis Bd. LXIII.
S. 122 ff., einen begrifflichen Unterschied zwischen beiden Klagen geleugnet. Wenn
aber auch die Deutsche CPO. beide Klagen prozessualisch fast durchweg nach den-
selben Grundsätzen behandelt, so erkennt sie doch selbst die prinzipielle Verschiedenheit
ihrerseits in der Vorschrift deutlich genug an, daß wenn beide Klagen von derselben
Partei oder von verschiedenen Parteien erhoben werden, die Verhandlung und Ent-
scheidung über die Restitutionsklage bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
Nichtigkeitsklage auszusetzen ist. Sie geht also davon aus, daß in dem Falle der
Nichtigkeit das Urtheil nur eine Scheinexistenz führt, in dem anderen Falle
dagegen an sich völlig rechtsgültig ist. Der Schein der inneren Verwandtschaft
wird nur dadurch erregt, daß die Rechtsordnung im Interesse der Rechtssicherheit
die Rüge der Verletzung absoluter Prozeßvorschriften beschränken und unter gewissen
Voraussetzungen ganz ausschließen muß (vgl. darüber Bülow, a. a. O. Bd. LXIV.
S. 33 ff.). Die Sache liegt demnach so, daß die Restitutionsklage sich als ein
außerordentlicher Weise gegebenes Anfechtungsmittel gegen formal allen absoluten
Prozeßvorschriften entsprechende Urtheile darstellt, dagegen die Nichtigkeitsklage das
begrifflich statthafte Anfechtungsmittel wegen Verstöße gegen absolute Prozeßvorschriften
ist, welches aber sowol durch Reduzirung der letzteren als auch durch Anerkennung
der nachträglich heilenden Kraft einer Reihe von Momenten erst außerordentlicher
Weise beschränkt wird.
Quellen: Deutsche CPO. 88§ 541—554.
Lit.: v. Kries, D.ochtzmittel des Civ. Proz. u. StrasProz. nach! d. Best. d. Deutsch.
Reichsges., Berlin 1880. S. 4 6 ff. P. Hinschius.
Wiederaufnahme des Strafverfahrens. I. Es widerspricht dem in dem
heutigen Prozeß anerkannten Prinzipe der Rechtskraft des Urtheils (s. den Art.
Rechtskraft im Strafprozeß), wenn über eine endgültig entschiedene Strassache
noch einmal verhandelt wird; allein es widerspricht ebenso sehr dem Streben nach
materieller Wahrheit, wenn man Strafurtheile aufrecht erhalten wollte, deren Un-
haltbarkeit dargethan werden kann. Daher haben die StrafP O. die W., auch
Restitution genannt, theils nur zu Gunsten, theils auch zu Ungunsten des Ange-
klagten ausnahmsweise aus gewissen Gründen gestatttet. Die verschiedenen
Bestimmungen der StrafO. über die W. sind vollständig abgedruckt in der 2.
Anlage zu den Motiven einer Deutschen Straf# O. (Hahn, Materialien zur StrafO.
Bd. III. Abth. I. S. 378—389).
II. Die Deutsche Straf O. widmet der W. das vierte Buch und gestattet
den Antrag auf W., den sie nicht als Rechtsmittel ansieht, obgleich die allgemeinen
Bestimmungen über Rechtsmittel auf ihn anzuwenden sind, sowol zu Gunsten als.
zu Ungunsten des Verurtheilten bzw. Freigesprochenen. Der Verurtheilte it hier-
bei jedoch besser gestellt als die Staatsanwaltschaft.
ß J. Zu Gunsten des Verurtheilten findet die W. statt (Sttafpo.
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