1400 Zeugenbeweis.
dahin, daß dieselben als Auskunftspersonen, als Personen, von welchen Aufklärungen
zu erwarten sind, doch wieder vernommen wurden und im ältern Recht die Handhabe
für die Anwendung der Tortur, im neueren für eine künstliche Zusammenstellung
halber Beweismittel, im neuesten für die unberechenbare Einwirkung auf die Ueber-
zeugung der auf Grund freier Beweiswürdigung, losgezählt von Beweisregeln
Urtheilenden boten. Von den Italienischen Wortführern der Strafrechtsreform im
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, obgleich dieselben von dem Verzicht auf
gesetzliche Beweisregeln weit entfernt waren, ging daher die Richtung der Wissenschaft
und Gesetzgebung aus, welche in Bentham's Wort: Let in the light of evidence!
und in der aus Bentham's Anregungen hervorgegangenen Aenderung des älteren
Englischen Beweisrechtes ihren deutlichsten Ausdruck fand. Die Ausschließung von
Zeugen ward schon unter dem Einfluß der älteren Strömungen immer seltener und
den Uebergang erleichterte die Aufstellung der Kategorie der verdächtigen oder be-
denklichen Zeugen. Allein die Bedeutung dieser Unterscheidung beruhte wesentlich
auf künstlicher Regelung der Beweiswürdigung und der Forderung zweier voller,
oder einer größeren Anzahl bedenklicher Zeugen für die Herstellung des Beweises.
Mit der Beseitigung dieser Regeln schwand auch der Werth der Unterscheidung, und
es bleibt naturgemäß nichts übrig, als irgend eine Mahnung an die Urtheiler,
gewisse, einmal zugelassene Zeugenaussagen mit mehr Mißtrauen aufzunehmen, sie
sorgfältiger zu sichten. Diese Mahnung bringt im Englischen Recht der Vorsitzende
des Schwurgerichtes in seiner Belehrung der Geschworenen an; im neueren kontinen-
talen Prozeß ist dieselbe in der Unterlassung der Beeidigung gewisser Zeugen aus-
gedrückt, dem letzten Rest des älteren Rechtes, welches die Aussage, die zufällig
nicht beeidigt war, als minder volles Beweismittel behandelte und denselben Charakter
von vornherein der bedenklichen Zeugenaussage durch absichtliche Ausschließung des
Eides ausprägte. Das Zweischneidige dieses Vorganges, bei welchem einerseits das
Streben nach Fernhaltung muthmaßlicher Meineide maßgebend war, andererseits aber
doch der Mißstand eintritt, daß eine Aussage von unberechenbarer Wirkung zugelassen
werden muß, welche nicht nur an sich bedenklich ist, sondern noch durch positive
Anordnung des Gesetzes einer Veranstaltung entrückt wird, in welcher mit Recht eine
Gewähr der Wahrhaftigkeit erblickt wird, läßt sich nicht verkennen, und es ist daher
erklärlich, daß manche Gesetzgebungen diesen Weg überhaupt nicht gingen und (wie
namentlich das Englische Recht) kein unbeeidigtes Zeugniß zuließen, die anderen
aber die Fälle der Nichtzulassung zum Zeugniß sowol, als blos zum Zeugeneid
möglichst einschränkten. Damit sind alle die Gesichtspunkte, welche für die Häufung
solcher Ausschließungen im älteren Rechte maßgebend gewesen, dem Gebiete aus-
drücklicher Regelung durch die Gesetzgebung entrückt; die beachtenswerthen Gedanken
aber, welche denselben meistens zu Grunde lagen, sollten von der modernen Rechts-
wissenschaft nicht bei Seite gelassen werden. Denn nicht nur kommt letzterer die
Anleitung zu richtiger Beweiswürdigung zu, auf welche die Gesetzgebung verzichten
mußte, sondern es hängt die Leitung des Beweisverfahrens, die Entscheidung von
Zwischenfällen, welche sich in demselben ergeben, wesentlich davon ab, ob gewisse
zur Sprache gebrachte Umstände mit Recht als solche bezeichnet werden, welche bei
der Würdigung einer Zeugenaussage zu berücksichtigen sind.
Das Französische Recht läßt als Zeugen nur solche zu, die es als voll-
gültige anerkennt; die Beeidigung ist mit dem Zeugniß so untrennbar verknüpft, daß
sie selbst auf übereinstimmenden Antrag der Parteien nicht unterlassen werden darf.
Ein ziemlich weiter Kreis von Personen ist vom Zeugniß durch art. 156 und 322
des Code d’Instr. ausgeschlossen; es sind dies die Ascendenten, Descendenten, Geschwister
und im gleichen Grade Verschwägerte, Ehegatten (selbst noch nach Auflösung der
Ehe) eines der Mitangeklagten und Anzeiger, welchen gesetzlich ein Anzeigerlohn
gebührt. (In vollem Umfange gilt das nur in der Hauptverhandlung vor dem
Schwurgericht.) Neben diese kategorischen Bestimmungen stellt sich aber eine be-