Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Zeugenbeweis. 1401 
trächtliche Abschwächung nicht blos durch den Einfluß stillschweigender Zustimmung der 
Parteien, sondern auch durch die dem Präsidenten kraft seiner diskretionären Gewalt 
zustehende mündliche Vernehmung derselben Personen, die als Zeugen nicht ver— 
nommen werden dürfen, als Auskunftspersonen (pour renseignement). In 
ähnlicher Weise gestattet art. 75 des Code d'Instr., „daß die Kinder unter 15 
Jahren“", und zwar auch schon in der Voruntersuchung „in der Form der Erklärung 
(par forme de declaration) und ohne Eidesleistung vernommen werden“, woraus 
gefolgert wurde, daß sie auch in der Hauptverhandlung unbeeidigt vernommen werden 
dürfen; die Praxis gestattet übrigens, mindestens solange kein Widerspruch erhoben 
ist, auch die Beeidigung. 
Die Oesterr. StrafPO. erklärt als zeugnißunfähig ausdrücklich „Personen, 
die zur Zeit, in welcher sie das Zeugniß ablegen sollen, wegen ihrer Leibes= oder 
Gemüthsbeschaffenheit außer Stande sind, die Wahrheit anzugeben“ (6 151 Z. 3). 
Die Zahl der Personen, welche durch Ausschließung vom Eide als verdächtige 
Zeugen hingestellt (jedoch nicht als solche ausdrücklich benannt) werden, ist eine 
ziemlich große; der maßgebende Gesichtspunkt ist durchgehends nur der, daß irgend 
ein greifbarer Grund vorhanden ist, die Unbefangenheit, Unabhängigkeit oder Auf- 
richtigkeit des Zeugen oder seine Fähigkeit, die Wahrheit zu sagen und die Wichtig- 
keit des Eides zu erfassen, zu bezweifeln. Solche Umstände sind: 1) der Verdacht, 
die strafbare Handlung selbst begangen oder daran theilgenommen zu haben, 
2) wegen eines Verbrechens schwebende Untersuchung oder deshalb noch abzubüßende 
Freiheitsstrafe, 3) vorausgegangene Verurtheilung wegen falschen Zeugnisses oder 
falschen Eides; 4) Alter unter 14 Jahren; 5) „erhebliche Schwäche des Wahr- 
nehmungs= oder Erinnerungsvermögens“; 6) offene Feindschaft mit dem Beschuldigten; 
7) erwiesene Unwahrheit erheblicher, vom Zeugen ausgesagter Umstände (§ 170). 
Zur vollen Würdigung dieses Systems ist es aber nothwendig zu beachten, daß 
auch das nicht beeidigte falsche Zeugniß nach Oesterr. Recht als Verbrechen ge- 
straft wird. 
Die Deutsche Straf O. enthält keine Bestimmung über die Unfähigkeit zum 
Zeugniß. „Sonach,“ sagt Löwe, „können auch Kinder als Zeugen vernommen 
werden. Desgleichen ist die Vernehmung geisteskranker Personen selbst in der 
Hauptverhandlung nicht ausgeschlossen; sie kann vielmehr stattfinden, wenn das 
Gericht von der Auslassung der betreffenden Person oder von der Art ihres Auf- 
tretens eine Aufklärung der Sache erwartet.“ Gegen die Zulassung der Ver- 
nehmung solcher Personen ist allerdings nichts einzuwenden (s. oben unter I.); die 
unter solchen Modalitäten stattfindenden Vernehmungen unterscheiden sich aber von 
Zeugenvernehmungen sehr wesentlich, welche wenigstens von der Vermuthung aus- 
gehen, daß man werde glauben dürfen, was der Zeuge sagt. Die Unterscheidung 
ist keine blos theoretische; werden solche Personen als Zeugen, nicht blos als Objekte 
eines Versuches behandelt, so hat das Gericht es gar nicht mehr in seiner Hand, 
ob es sie vernehmen will, da den Parteien ihre Ladung freisteht und sobald diese 
erfolgte, kann die Vernehmung nur mit Zustimmung beider Parteien unterbleiben 
(Deutsche Strafs O. § 244). Bezüglich der Geisteskranken wird überdies, wenn 
man sie als Zeugen zu behandeln hat, § 56 Z. 1 der Deutschen Straf P O. nicht 
einmal unbedingt ausreichen, um die Unterlassung der Beeidigung zu rechtfertigen. 
Auch die Deutsche StrafP O. stellt nicht eine Kategorie von ausdrücklich als 
verdächtig oder bedenklich erklärten Zeugen auf; aber auch sie schließt eine 
(verhältnißmäßig geringe) Anzahl von Personen vom Zeugeneide aus, ohne deren 
Vernehmung als Zeugen zu untersagen, und der dafür maßgebende Gesichtspunkt 
ist doch in erster Linie das Mißtrauen gegen den Zeugen, sei es, daß bei ihm, weil 
er das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet oder wegen mangelnder Verstandes- 
reife oder wegen Verstandesschwäche „von dem Wesen und der Bedeutung des Eides 
keine genügende Vorstellung“ vorauszusetzen ist, — sei es, daß er „nach den Be-
	        
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