Zurechnung. 1453
nicht besaß. Man kann doch dem Gesetzgeber nicht zumuthen, daß er dem jugend-
lichen und dem taubstummen Angeklagten in dieser Hinsicht ein Privilegium ertheilen
will, daß blos bei ihnen also der Besitz jener Einsicht eine Vorbedingung der
Z. fähigkeit sein soll, während erwachsene Nichttaubstumme zu verurtheilen wären,
auch wenn ihnen eine Einsicht gemangelt hätte. So wie es sich von selbst versteht,
daß ein jugendlicher Angeschuldigter auch dann freizusprechen ist, wenn ihm zur
Zeit der That, trotz des Vorhandenseins der Einsicht in die „Strafbarkeit“ derselben,
die freie Willensbestimmung fehlte, so muß auch umgekehrt der erwachsene Angeklagte
freigesprochen werden, wenn ihm die Einsicht in die Strafbarkeit der Handlung
gemangelt hat.
Nicht ganz korrekt und vollständig ist es ferner, wenn der § 51 nur von Be-
wußtlosigkeit und krankhafter Störung der Geistesthätigkeit spricht. Neben der krank-
haften Störung sollte auch die krankhafte Hemmung der Geistesthätigkeit genannt
sein, denn angeborener Blödsinn ist nicht Störung einer noch gar nicht entwickelten
Geistesthätigkeit. Das Wort „Bewußtlosigkeit" muß man in einem sehr weiten
und uneigentlichen Sinne nehmen, wenn es auch alle jene Zustände der höchsten
Aufregung und Verwirrung (Affekt, Schlaftrunkenheit, Berauschung) mitumfassen
soll, bei welchen zwar nicht wie in einem Ohnmachtsanfall alles Bewußtsein ge-
schwunden ist (wofür allein der Ausdruck Bewußtlosigkeit vollkommen paßt), aber
doch eine solche Störung des Bewußtseins eingetreten oder eine solche Verwirrung
des Gemüths hervorgerufen ist, daß die Selbstbestimmungsfähigkeit verloren gegangen.
Richtiger formulirt sonach jedenfalls der erste Oesterr. Entwurf, wenn er im § 56
sagt: „Eine Handlung ist nicht strafbar, wenn derjenige, der sie begangen hat, zu
dieser Zeit (7) sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit (der zweite Entwurf setzt
hinzu: voller Trunkenheit) oder krankhafter Hemmung oder Störung der Geistes-
thätigkeit befand, welcher es ihm unmöglich machte, seinen Willen frei zu bestimmen
oder das Strafbare seiner Handlung einzusehen“. — Am besten aber ist die Materie
geregelt im Züricher StrafG B., welches im § 39 sagt: „Die Strafbarkeit einer
Handlung ist ausgeschlossen, wenn der Handelnde sich zur Zeit der Begehung der
That in einem Zustande befand, in welchem er die Fähigkeit der Selbstbestimmung
oder die zur Erkenntniß der Strafbarkeit der That erforderliche Urtheilskraft nicht
hatte“. (Aehnlich Baselstadt bzw. Baselland § 30, Zug § 26 Abs. 1.) Weiter
sagt § 40: „Ist nachgewiesen, daß die Fähigkeit der Selbstbestimmung oder die zur
Erkenntniß der Strafbarkeit erforderliche Urtheilskraft in sehr geringem Grade vor-
handen ist, so kann der Richter unter das Maß der vorgeschriebenen Strafe herab-
gehen oder zu einer anderen Strafart übergehen“. (Aehnlich Zug § 26 Abf. 2.
Uebrigens enthielten auch mehrere Deutsche Strafgesetzbücher, wie z. B. das Sachsische
Art. 88, das Bayersche Art. 68, Bestimmungen über verminderte Z., sowie denn
wol auch Art. 67 des Bayer. Straf GB. Abs. 1, unter Hinweglassung der unnöthigen
Kafuistik, im Wesentlichen in den § 39 des Züricher Straf GB. übergegangen ist.) —
Sehr mangelhaft sind die Bestimmungen des jetzigen Oesterr. Straf GB. über
die Z. unfähigkeit. Der § 2 nennt unter den Gründen, die den „bösen Vorsatz“
ausschließen, gänzlichen Mangel des Vernunftgebrauchs, Sinnenverrückung, dann die
(ohne Absicht auf das Verbrechen zugezogene) volle Berauschung und die Sinnen-
verwirrung, in welcher der Thäter sich seiner Handlung nicht bewußt war. Dies
Alles gilt zunächst nur hinsichtlich der Verbrechen im engeren Sinne. Dagegen ist
es nicht einmal ausdrücklich ausgesprochen, daß die erwähnten Bestimmungen des
§ 2 auch bei Vergehen und Uebertretungen zu berücksichtigen sind! Natürlich hat
Theorie und Praxis sie trotzdem auch hier für anwendbar erklärt. Eigenthümliche
Bestimmungen giebt das Oesterr. StrafGB. §§ 237, 269—273 über die strafbaren
Handlungen der Unmündigen. — Betreffs der Bestimmungen des Deutschen StrafG#.
über die Z. unfähigkeit der Kinder ist hier auf den Art. Altersstufen (strafrechtl.)
zu verweisen. —