1458 Zurechnungsfähigkeit.
I. Kindheit und Unmündigkeit. Das Lebensalter, von welchem an
eine strafrechtliche Verantwortlichkeit stattfindet, ist je nach Klima, Rasse, früherer
oder späterer Entwickelung, vom Gesetzgeber bestimmt (§ 55 des Deutschen StrafGB.
setzt das vollendete 12. Jahr, 8 2 lit. d. des Oesterr. StrafGB. das zurückgelegte
14. Jahr als Altersgrenze fest). Vor dieser Zeit gilt die Annahme, daß das Kind
sich der Bedeutung einer strafbaren Handlung und der Strafe nicht genügend bewußt
ist, weshalb jene der häuslichen Zucht überlassen bleibt.
Die Erkenntniß, daß die Entwickelung des Seelenlebens eine allmähliche, nicht
sprungweise ist, führte nothwendig den Gesetzgeber zur Fixirung einer intermediären
Lebenszeit unentschiedener Z. zwischen der fehlenden des Kindes und der vorhandenen
des Erwachsenen, der Zeit der Unmündigkeit. Oesterreich § 237 macht für im
Alter von 11—14 Jahren begangene strafbare Handlungen verantwortlich, soweit
sie Verbrechen sind, indem es sie als Uebertretungen bestraft, als solche aber qualifizirte
straflos läßt.
Deutschland § 56 läßt vom 12.—18. Jahre die Frage der Z. offen und macht
sie abhängig von dem vorhandenen oder fehlenden Unterscheidungsvermögen. Außerdem
werden im Fall der vorhandenen Z. in Bezug auf Strafmaß, Strafart und Straf-
vollzug in § 57 noch besondere Bestimmungen getroffen.
Es kommt also hier wesentlich auf das Unterscheidungsvermögen an. Ein
solches darf nicht leichtsinnig angenommen werden. Die Einsicht in die Bedeutung
der Handlung kommt jugendlichen Verbrechern vielfach erst hinterher, indem sie die
Folgen jener empfinden. Es kommt hier auch auf die Art der strafbaren Handlung.
an. Das Unrecht einer begangenen Fälschung wird nicht so leicht eingesehen als
die Bedeutung eines Diebstahls. Häufig werden auch Unmündige von Erwachsenen
als Werkzeug zum Verbrechen gebraucht. In das kritische Alter der Reife fällt
auch eine Entwickelung wichtiger Funktionen, das Eintreten der Pubertät, die vielfach
Störungen der psychischen Thätigkeit setzt und darum alle Beachtung verdient. Bei
manchen jugendlichen Individuen, deren Körper= und Geistesentwickelung eine retar-
dirte war, ist mit dem 18. Jahre die Reise noch nicht vorhanden. Anthropologisch
steht fest, daß erst mit vollendetem 21. Jahre die Hirnentwickelung ihre volle Höhe
erreicht hat. Die Beachtung dieser Thatsachen dürfte den Richter öfters zur An-
nahme mildernder Umstände veranlassen. § 46 des Oesterr. Straf G. sieht geradezu
im Alter unter 20 Jahren einen Milderungsgrund.
II. Psychische Entwickelungshemmungen und Entartungen. Es
giebt zahlreiche Individuen, die durch zu frühen Schluß der Schädelnähte und
dadurch gehemmte Entwickelung des Gehirns oder durch ungünstige Hirnanlage ab
ovo oder foetale oder in frühem Lebensalter erworbene Hirnkrankheiten nicht die
intellektuelle Reife erreichen, die zur Annahme der Z. erforderlich ist. Man be-
zeichnet diese geistigen Infuffizienzen, deren Abstufung eine äußerst mannigfaltige ist,
als Schwach= und Blödsinn. Der Unterschied zwischen beiden und des ersteren
gegenüber dem Zustand des Vollsinnigen läßt sich dahin geben, daß im Bläödsinn
die Bildung übersinnlicher Vorstellungen, Begriffe und Urtheile mangelt, beim
Schwachsinn zwar möglich wird, aber nicht den Reichthum und die Klarheit erreicht
wie beim Vollsinnigen.
Blödsinn, angeborener (Idiotie). Auf tiefster Stufe desselben dreht sich.
das psychische Leben um die Befriedigung der Triebe, namentlich des Nahrungs-
triebes; auf höherer kommt es zu sinnlichen Vorstellungen und oberflächlicher Ver-
knüpfung derselben, aber die Welt des Uebersinnlichen ist versagt und damit fehlt
jedes Verständniß für die Bedeutung eines sozialen Lebens. Die Unvollkommenheit
der Muskelinnervation, besonders der Streckmuskeln, macht den Gang plump, täppisch,
oft finden sich auch Sinnesfehler, Schielen, Stottern, epileptische u. a. krampfhafte
Erscheinungen auf Grund der ursächlichen Hirnanomalien oder Schädelverbildungen.
Meist kommen solche Wesen mit dem forum in Berührung durch Affekte, die als