1462 Zurechnungsfählgkeit.
aus der Gehirnerkrankung herausgesetzte, somit spontane Affekte, Triebe, Wahnideen,
Sinnestäuschungen ein Handeln bedingt wird; b) indem den irgendwie entstandenen
Motiven desselben keine sittlichen, rechtlichen Gegenmotive entgegentreten können, da
diese entweder durch die Krankheit gleich anderen psychischen Funktionen verloren
gegangen sind oder durch Störungen in der Assoziation und Bewegung der Vor-
stellungen nicht mehr ins Bewußtsein eintreten (Melancholie, Manie); c) indem
durch Wahnideen und Sinnestäuschungen das Welt= und Selbstbewußtsein gefälscht
ist. Diese Störung kann soweit gehen, daß die ganze frühere Persönlichkeit durch
eine neue krankhafte ersetzt ist, der nun die Handlung zugeschrieben werden muß
(Wahnsinn, Verrücktheit).
Die frühere Irrlehre einer partiellen Z., die sich auf die fälschliche Annahme
einer Selbständigkeit vermeintlicher Seelenvermögen gründete, ist durch die Beobach-
tung und Erfahrung widerlegt, wonach es keine Seelenvermögen giebt und die ver-
schiedenen psychischen Akte nur in engster Wechselwirkung gedacht werden können.
Damit ist auch der alte Streit wegen der Monomanien abgethan. Damit eine
Störung der Geistesthätigkeit als Aufhebungsgrund der Z. anerkannt werde, muß
sie als eine krankhafte erwiesen sein. Diese Aufgabe fällt dem Sachverständigen
zu. Sie kann nie von einem Kriterium aus gelöst werden, es giebt kein spezi-
sisches Kennzeichen für Geisteskrankheit, es giebt keine psychische Funktionsstörung,
die nicht auch beim Geistesgesunden möglich wäre. Die Hauptaufgabe besteht darin,
das Bestehen einer Hirnkrankheit nachzuweisen und die anomalen psychischen Symp-
tome auf eine solche zurückzuführen. Da das Gehirn nicht blos psychische Funktionen
vermittelt, so wird sich die Untersuchung nicht auf psychische Phänomene beschränken
dürfen.
Von MWichtigkeit sind hierbei: a) Eine erbliche Anlage zu Irresein, wie sie
durch Hirn-Nervenkrankheiten, Trunksucht und andere degenerative Faktoren in der
Ascendenz bedingt wird. Ihre Bedeutung wird um so größer, wenn sie sich im
Vorleben durch Anomalien der psychischen Entwickelung und Gebahrung verrieth.
b) Der Nachweis wirksamer Ursachen für Entstehung von Irresein (Kopfverletzungen,
Alkoholexzesse, Epilepsie, Wochenbett, heftige Gemüthsbewegungen 2c.), namentlich
wenn psychische Abnormitäten im direkten Anschluß an eine solche Ursache sich
ermitteln lassen.
c) Schädelanomalien, sofern der Schädel abnorme Kleinheit oder Größe zeigt
oder der Stirnschädel verkümmert ist. d) Verbildungen der Ohren, Extremitäten,
Genitalien, Sinnesfehler, wenn sie auf eine centrale Ursache beziehbar sind.
e) Zittern, Lähmungen, Krämpfe, aufgehobene ober krampfhaft gesteigerte Empfind-
lichkeit als klinische Zeichen einer Erkrankung des centralen Nervensystems, ebenso
Kopfweh, Schwindel, Schlaflosigkeit. f)Hallucinationen, wenn sie für Wahrheit
gehalten werden, in mehreren Sinnen vorkommen und mit anderweitigen pspychischen
Störungen zugleich sich vorfinden. 8) Wahnideen, die aber vom objektiven Irrthum
eines Geistesgesunden zu unterscheiden sind. Der widersinnige Inhalt allein ist hier
nicht maßgebend. Im Allgemeinen unterscheidet den Wahn des Irren von dem
des Gesunden, daß jener mit der früheren gesunden Denk= und Anschauungsweise
im Widerspruch steht, immer einen subjektiven Charakter hat, als Produkt einer
Hirnerkrankung nicht durch Logik und Raisonnement zu beseitigen und auf einen
krankhaften psychischen elementaren Vorgang zurückführbar ist. Der Wahn des
Gesunden dagegen beruht auf einem Fehler im logischen Schließen oder auf einer
aus Unwissenheit entstandenen falschen Prämisse und wird aufgegeben, wenn er dem
Betreffenden als positiv unmöglich erwiesen wird. h) Krankhafte Stimmungen,
Affekte, die äußerlich nicht motivirt sind. i) Periodizität gewisser Symptome und
Symptomreihen. k) Zeichen eines allgemeinen Krankseins. Indessen ist es ein
Irrthum, an Irresein zu zweifeln, wo diese fehlen. Sie finden sich nur im Anfang
desselben.