1474 Zuständigkeit.
In allen hier fraglichen Sachen giebt es keinen Akt, welcher das Hauptverfahren
eröffnet. Demgemäß steht nach der Natur der Sache Abweisung von Amtswegen
an sich bis zum Endurtheil zu, wird jedoch ausgeschlossen, wenn der Beklagte auf Grund
der Verzichtspräsumtion die Einrede verloren hat. Dies geschah nach dem Entwur
und dessen Motiven mit dem Vortrag der Anklage. Die Reichstagskommission setzte
an dessen Stelle die Verlesung des Eröffnungsbeschlusses, aber nur mit der Absicht,
den Inhalt des Vortrags zu beschränken und zu präzisiren, so daß die Verlesung
des Beschlusses Vortrag der Anklage sein sollte. In Folge dessen hat die Aus-
schließung der Einrede wie der Abweisung von Amtswegen in allen hier erörterten
Fällen mit dem freien mündlichen Vortrage der Anklage oder, was durch das Gesetz
nicht gehindert ist, mit der Verlesung des Strafbefehls bzw. des Protokolls oder
der Ladung, in welchen die Anklage enthalten ist, einzutreten. Was endlich das
Verfahren gegen Abwesende betrifft, so ist da, wo eine Hauptverhandlung nicht zu-
lässig ist, die Abweisung von Amtswegen mit der Eröffnung des Hauptverfahrens
ausgeschlossen, die Einrede dagegen dem später sistirten Angeklagten nicht abgeschnitten;
wo dagegen Hauptverhandlung und Verurtheilung zulässig sind und stattgefunden
haben, kann die Einrede nach erfolgter Wiedereinsetzung bis zur Verlesung des Er-
öffnungsbeschlusses nachgeholt werden, was jedoch einem bereits zur Sache vernommenen
Angeschuldigten nichts mehr hilft und für den Dispensirten wegfällt. — Eine andere
Z., als die bisher erörterte, ist für das Römische und Gemeine Recht nicht anzu-
erkennen. Es führt jedoch im Französischen Recht und in neueren Prozeßordnungen
und so auch in den neuen Deutschen Reichsgesetzen die Gerichtsbarkeit durchgängig
den Namen Z., und zwar sachliche Z. (competentia ratione materiae vel causae)
im Gegensatz zu der vorhin erörterten, welche man örtliche Z. nennt. Sachliche
Z. ist in diesem Zusammenhange das Recht der Gerichte auf das ihnen angewiesene
Geschäftsgebiet eines bestimmten Sprengels und der Inbegriff der Befugnisse, welche
sie in diesem Gebiete zu üben haben; sie umfaßt die Gegensätze von Gerichten und
Administrativbehörden, von reichsgesetzlich und landesgesetzlich geordneter Gerichts-
barkeit, von Gerichten erster Instanz und Rechtsmittel= 2c. Gerichten, endlich und
zwar in Absicht sowol auf Rechtsprechung wie Vollstreckung den Gegensatz von
Amts= und Landgerichten im Civilprozeß und von Schöffengerichten, Strafkammern,
Schwurgerichten und Reichsgericht im Strafprozeß. Für alle diese Gerichte gilt
die, im Uebrigen ja von jeder Behörde in entsprechender Weise bei ihrer Geschäfts-
führung zu beobachtende Regel, daß sie in jedem Prozesse und namentlich zu Anfang
desselben festzustellen haben, ob die der örtlichen Z. nach ihnen unterworfenen Prozeß-
sachen auch zu dem ihnen im Gegensatz zu anderen Gerichten und zu Administrativ-
behörden überwiesenen besonderen Geschäftsgebiete gehören, und ob sie die zu deren
Erledigung erforderlichen Befugnisse besitzen, widrigenfalls sie zu irgend welchem
Handeln in der Sache hier ebensowenig befugt sind, wie bei Mangel der örtlichen Z.
Auch kann der Beklagte den Mangel der sachlichen Z. so gut, wie den der örtlichen
rügen, aber, da es sich nicht um seine Rechte allein handelt, sondern Rücksichten auf
die gesammte Staatsordnung bestimmend eingreifen, die sachliche 3Z. nicht durch Verzicht
auf die Rüge begründen und die Grenzen zwischen Justiz und Administration,
zwischen reichsgesetzlich und landesgesetzlich geordneter Gerichtsbarkeit, zwischen Ge-
richten erster und höherer Instanz ꝛc. verrücken. Dies voraufgesandt gelten nun zu-
nächst im Civilprozeß für die sachliche Z. der Land= und Amtsgerichte folgende
Regeln: 1) die sachliche Z. scheidet zwischen Land= und Amtsgericht nur da, wo
beide örtlich zuständig sind. Der Mangel sachlicher Z. bildet für das sachlich un-
zuständige Gericht ein Hinderniß, von der örtlichen Unterwerfung des Beklagten
Gebrauch zu machen. 2) Jedes Gericht hat seine sachliche Z. in jeder Lage des
Verfahrens von Amtswegen zu prüfen, das Amtsgericht und die Kammer für Handels-
sachen namentlich auch dann, wenn durch Erhebung von Widerklage, Präjudizial-
inzidentklage oder durch Klagerweiterung die zu Anfang des Prozesses vorhandenen