1504 Zwischenherrschaft.
das bisherige Staatsrecht in keiner Beziehung beschränkten Gewalt des Eroberers:
die Bewohner des unterworfenen Landes müssen fortdauernd als rechtsfähige Wesen
anerkannt, dürfen also nicht in den Zustand der Sklaverei gebracht werden, da der
Genuß der persönlichen Freiheit von dem heutigen Völkerrechte schlechthin dem
Menschen, somit auch dem durch eine Eroberung der staatsbürgerlichen Rechte be-
raubten Menschen, zugesprochen wird.
Anders ist die Antwort auf die Frage nach dem Rechtsverhältniß des revolu-
tionären Machthabers zu der bisher gültigen Ordnung. In der Revolution
liegt nicht wie in der Eroberung eine durch das Völkerrecht geregelte Vernichtung
eines völkerrechtlichen Rechtssubjekts vor. Vielmehr ist die Revolution stets ein
durch keine Rechtsnorm beherrschter, wenn auch vielleicht durch moralische Motive
veranlaßter Bruch des bestehenden Rechts. Eine in rechtlichen Formen sich bewegende
Revolution ist keine Revolution, und der aktive Widerstand, zu welchem ältere Ver-
fassungen häufig einzelne Stände für den Fall berechtigen, daß der Landesherr die
Verfassung nicht halte, darf ebendeshalb niemals eine Revolution genannt werden.
Wenn aber die Revolution stets eine gewaltthätige, durch keinen positiven Rechtssatz
beherrschte, wenngleich möglicherweise durch sittliche Prinzipien getragene Durch-
brechung der bestehenden Rechtsordnung, d. h. wenn sie die zeitweise Herstellung
eines anarchischen, also rechtlosen Zustandes ist, so kann auch keine Rechtsvorschrift
aufgestellt werden, welche die Revolution in gleicher Weise wie die Eroberung be-
obachten müsse. Vielmehr stellt eine Revolution schlechterdings jedes Recht in Frage:
die Rechte der Einzelnen werden durch sie ebenso schutzlos, wie die von der bisherigen
Verfassung den Bürgern gewährten politischen Rechte. Was von dem früheren
Rechtszustande bewahrt bleiben solle, hängt somit bei einer gelungenen Revolution
zunächst nur von der rechtlich vollkommenen unbeschränkten Erwägung der revolu-
tionären Machthaber ab, bis eine neue Ordnung aus der Revolution hervorgeht,
welche einen Rechtszustand zwischen den Einzelnen und der neuen Obrigkeit schafft.
Die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnisse des Eroberers oder der aus
der Revolution hervorgegangenen Obrigkeit zu dem vertriebenen Staatsherrscher ist
dagegen in beiden Fällen die gleiche, denn beide sind im Sinne des Staats= und
Völkerrechts wirkliche Usurpatoren. So lange der Usurpator aber wirklich herrscht,
d. h. im zweifellosen Besitze der Staatsgewalt ist, ist die Frage nach seiner Recht-
mäßigkeit durchaus irrelevant: seinen Unterthanen gegenüber legitimirt sich
der Usurpator als Staatsherrscher durch die Gewalt, welche er ausübt. Es giebt
kein Forum im Staate, das im Stand wäre, das Recht des aktiven Herrschers auf
die Staatsgewalt zu prüfen und nöthigenfalls ihm abzusprechen. Die neuerdings
zur Legalisirung der Usurpation angewandten Volksabstimmungen widersprechen dem
nicht; denn einmal find diese Volksabstimmungen rechtlich nicht im Stande, dem
früheren rechtmäßigen Herrscher das Recht auf die Krone zu nehmen, weil ihnen erst
vom Usurpator eine juristische Bedeutung beigelegt worden ist; dann aber kann auch
das Volk dem wirklich im Besitz der Staatsgewalt befindlichen Herrscher gegenüber
kein sein Recht auf den Thron verneinendes Votum abgeben, weil es auch während
der Abstimmung unter der zwingenden Gewalt des Staatsherrschers sich befindet.
Es kann somit die Bejahung des Rechts des Ufurpators durch das Volk weder als
eine rechtmäßige Vernichtung des Rechts des früheren Staatsherrschers, noch als
eine rechtmäßige Uebertragung des Herrscherrechts auf den Usurpator angesehen werden.
Dem Auslande gegenüber bedarf der Usurpator ebensowenig eines Nachweises
seines Rechtstitels; denn das Ausland ist nicht berechtigt und ebensowenig ver-
pflichtet, die rein staatsrechtliche Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßig-
keit des derzeitigen Souveräns in Betracht zu ziehen. Vielmehr hat das Ausland
den wirklichen Staatsherrscher auch stets als solchen anzuerkennen und nimmt da-
durch dem depossedirten Fürsten ebensowenig sein Recht, als es durch die Anerkennung
des Usurpators diesem ein Recht giebt. Auf den verdrängten legitimen