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schaft ablegte. Die neue Bundesgewalt wird aber in dem Fall, daß
dieser Antrag angenommen wird, gegenüber dem Reichstag als dem Vertre.
ter der Nation mit voller Offenheit Über ihre Bundesverwaltungs-An-
gelegenheiten Rechenschaft abzulegen haben. Damit wird das parla-
mentarische Princip gewahrt sein; wir werden damit einen Keim zur
weiteren Entwickelung in die Verfassung gelegt haben, wir werden vor allen
Dingen die Antorität des Reichstages krästigen und stabilisiren, der Reichs.
tag aber bedarf der Autorität, ebenso sehr wie die Bundesregierung
des Reichstages bedarf. Was man an Autorität dem Reichstage abstreicht,
das nimmt man an Krast der Bundesgewalt, denn eine Regicrung kann
sich nur stützen auf einen Gegenstand, welcher auch im Stande ist, Wider-
stand zu leisten. — Es werden ost uns gegenüber hervorgehoben die
Schwierigkeiten, welche daraus erwachsen, daß sich die Regie-
rung Seiner Mojestät des Königs mit den einundzwanzig übri-
gen Regierungen verständigen müsse. Ich bitte aber nicht außer
Acht zu lassen, daß wir als Vertreter der Nation eine gleiche Schwie-
rigkeit hinter uns haben, nämlich die so und so vielen Deut-
schen Kammern, die eben so gut wie ihre Regierungen zunnserm
Verfassungswerke „ja“ sagen müssen. Wie die Königliche Regierung
bei jedem ihrer Schritte sorgsältig erwägen muß: Haben wir dabel auch auf
die Zustimmung der übrigen Regierungen zu rechnen? so müssen wir,
als Vertreter der Nation, bei jedem unserer Schritte sorgsältig erwä-
gen: Haben wir anuch auf die Sanction der partialen Volksver-
tretungen, der einzelnen Landtage, zu rechnen? Wenn Sie, meine
Herren, diese Erwägungen im Ange haben, so werden Sie finden, daß die
Schritte, die wir thun, und die vielfältig als eine Erschwerung des Ver-
fassungswerke interpretirt werden, in Wirklichkeit und Wahrheit darauf be-
rechnet sind, das Zustandekommen desselben, so viel in unseren Kräfsten steht,
zu erleichtern. Wenn etwa, um für den Augenblick einen vorÜlbbergehenden
Ersolg zu erzielen, die Zukunft unserer verfassungsmäßigen Entwickelung in
Frage gestellt würde, so könnte ich das nur für einen bedauerlichen Schritt
ansehen, man würde dann, um einen augenblicklichen Gewinn zu erreichen,
das ganze Capital der Zukunft in Frage stellen. Man wllrde, um für den
Augenblick einen süßen Apsel zu pflücken, den Stamm des Baumes abhauen
und damit die Fricchte der Zukunft verschergen. Es werden uns die Schwie-
rigkeiten der auswärtigen Politik vorgehalten. Nun, meine Herren, wir
unsererseits sind weit entsernt, diese Schwierigkeiten zu verkennen, aber diese
Schwierigkeiten werden nicht dadurch beseitigt, daß man den Reichstag, diese
oberste Vertretung der Deutschen Nation, zum bloßen Registranten der be-
reits von den Regierungen gesaßten Beschlüsse, daß man ihn zu einem willens-
und einsichtslosen Instrument des „Ledigli 6" herab-
drücken will. (Ohol rechts.) Man wird die Autorttät des Reichs-
tages dem Auslande gegenüber nur dann als eine Stütze ver-