Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Arukel 23. Bincke-S. 97 
süben Aepfel zu verlangen und damit den Baum selbst zu gesährden. Das 
ist der Standpunkt, der richtige Staudpunkt der Herren (auf den Abgrord- 
neten Dr. Braun-Wiesbaden deutend). Er hat uns gewarnt, wir sollten 
nicht den Reichstag zum bloßen Registrator der Beschlüsse der Regierung 
machen. Haben wir es denn bieher gethan, meine Herren? Erinnert 
sich das geehrte Mitglied nicht an seine eigenen Verdienste, die er 
durch mehrsache von ihm vorgeschlagene und demnächst vom Reichstage an- 
denommene Amendements in den Entwurf hineingebracht hat? Soll 
ich ihn erinnern an die verschiedenen Zusätze zu Artikel 4, die melner 
Ansicht nach wesentliche Verbesserungen sind? Soll ich ihn erinnern an das, 
was wir in der heutigen Sitzung noch beschlossen haben, an die Zulässig- 
keit wahrheitsgetreuer Berichte über die Verhandlungen des 
Reichstages? Und darf ich dem verehrten Mitgliede nicht entschieden 
widersprechen, wenn es uns heute ausdrülcklich gesagt hat, der Reichstag hätte 
es abgelehnt, die Ministerverantwortlichkeit mit Präcision in den 
Entwurf hineinzubringen? Ist nicht von mir und meinen Freunden ein 
Amendement auegegangen, was auch die Zustimmung des verehrten Mit- 
hliedes erhalten hat, das auedrlicklich sagt, daß der Bundeskanzler durch die 
Gegenzeichnung der Verflggungen des Bundesprüäsidiums die Verantwortlich- 
keit dafür libernimmt? Ist das etwa keine Verantwortlichkeit, und glaubt 
das verehrte Mitglied, daß der Apfel sehr viel süßer geworden wäre, wenn 
wir den ferneren Zusatz seiner Freunde angenommen und etwa gesagt hätten, 
die Verantwortlichkeit solle durch künftiges Gesetz gerrgelt werden? Glaubt 
er, daß damit etwas Wesentliches erreicht wäre für die gegenwärtigen 
Besugnisse des Reichstages und liberhaupt für die Inanspruchnahme der 
Berantwortlichkeit, so lange bis das Gesetz endlich erschienen sein wird Das 
Gesetz vorzuschlagen, das bleibt ihm in jedem künftigen Reichstage, dem er — 
so Gott will! — noch recht lange beiwohnen wird, unbenommen, und die 
bloße Berheißung hineinzunehmen, kann der Verantwortlichkeit von seinem 
eigenen Standpunkte aus keine größere Präcision geben. Ich vermag also 
für meine Person nicht einzusehen, wie man uns warnen kann, den Reichs- 
tag zum Registrator zu machen. Im Uebrigen, meine ich, hat das ver- 
ehrte Mitglied den Werth der Zeit, auf den es in seinen ersten Reden 
bei der allgemeinen Discussion noch ein größeres Gewicht zu legen schien, 
meiner Ansicht nach jetzt etwas unterschätzt. Ich will davon nicht reden, 
doß es meiner Ansicht nach nicht wohlgethau ist, daß etwa der Reichstag 
durch den Widerspruch der Regierung gegen die Annahme eines bestimmten 
Artikels sich nicht abweuden läßt, in der Vorberathung dennoch diesen Artikel 
zu beschlleßen und daß man nachher, wenn es sich bei der Schlußberathung 
zeigt, daß wegen einer solchen untergrordneten Bestimmung das ganze Werk 
gefährdet sein könnte, seine Ansicht modiflcirt und den Artikel schließlich ver- 
wirft. Denn wenn man mit Bestimmtheit voraussehen kann, daß einzelne 
Bestimmungen für die Regierung unannehmbar sind, und wenn man der 
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