Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 24. 25. 26. Migquel. 103 
b#t, melnes Erachtens doch nicht genügendes Gewicht gelegt auf einen anderen 
Gesichtspunkt, den ich hier hervorheben will, well er mit der vorliegenden 
Frage im Zusammenhange steht. .Ich will hler auf die Frage, ob das all- 
gemeine Wahlrecht princlpiell zu verkheidigen ist oder nicht, gar nicht einge- 
hen, ich glaube vielmehr, dah selbst diejenigen, dle gegen das allgemelne 
Bahlrecht sind, die die Dinge weniger ans elnem philosophischen Standpunkt, 
sondern mehr aus einem rein polltischen und mehr historischen Standpunkte 
betrachten, — dah selbst diese im gegenwärtigen Augenblicke für das allge- 
meine Wahlrecht sein müssen. Meine Herren, ich verstehe das allgemeine 
Gahlrecht lin dem gegen wärtigen Augenblick wesentlich dahln: es ist 
ein Appell an alle Klassen und alle Stände, an die Angehöri- 
gen aller Staaten der Deutschen Nation, sich glelchmäßig bei 
der Blldung elnes großen neuen Deutschen Staates zu bethel- 
ligen, — es ist ein Aufruf an alle Deutschen, einmal wenigstens, 
wenlgstens für jetzt, wo uns die große Aufgabe der Bildung eines neuen 
Stoates vorliegt, wenigstens für jetzt eimnal sich zu befreien von den Bor- 
nirtheiten der Gemelnde, des Staates, und selbst der Unterschiede der Bil- 
dung, von den Bornirthelten der Particularstaaten, und nur einmal als 
Deutsche die Hand gleichmäßig anzulegen an das schwere Werk, für das wir 
hler thätig sind. (Ruf: sehr richtig!) Mag man daher auch principiell sekbst 
gegen das allgemeine Wahlrecht sein, für den gegenwärtlgen Augen- 
blick war das allgemelne Wahlrecht nach meiner Melnung für alle Parteien 
eine Nothwendigkeit. Wie die allgemeine Wehrpflicht das beste Kampfmittel 
gegen die Gegner draußen, so ist das allgemeine Wahlrecht das beste Kampf= 
mitlel gegen die particularistischen Gegner drinnen. Das Eine ist aber nach 
meiner Meinung ebenso nokhwendlg, als das Andere. Ist dies nun aber 
richiig, lst das allgemeine Wahlrecht eine gegebene politische Nothwendigkelt, 
so ist nichts fehlsamer, als den Ausdruck des allgemeinen Wahlrechts zu 
verringern und zu beschränken. Der Herr Ministerpräsident hat gestern ein 
sehr schönes und treffendes Bild gebraucht, indem er den Reichstag ver- 
glichen hat mit einem Miniaturblld, darstellend die öffentliche Meinung, 
mit einer Hhotographle, dle elnen richtigen Ansruck von der öffentlichen 
Meinung geben soll. Ist dies aber richtig, so ist jeder Vorschlag falsch, 
der im Stande wäre, diese Photographle zu einer Karrikatur zu 
machen, und ich glaube die Anträge auf Verlängerung der Legislaturperlode 
können und werden diesen Zweck, wenn sie ihn auch nicht verfolgen, doch 
wenigstens erreichen. Man könnte möglicherweise — und es scheint als 
wenn einige Antragsteller dlesen Gedanken haben — man könnte für 
dlese BVorschlöge anführen, daß es nicht zweckmäßig sei, zu oft zu 
wählen, daß das allgemelne Wahlrecht die polltischen Leldenschaften in so 
bedeutendem Maße aufrege, und dah es daher nicht wüaschenswerth sei, die 
cgenze Nation zu oft zur Wahlurne zu rufen, daß in Deutschland daneben 
dee Waählen so oft komme, vorzugsweise deswegen, weil wi#r nicht zu einer
	        
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