Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Aruikel 32. Ret. 147 
nicht entsprechen. Sie erreichen aber, wenn Sie nach Ihrer Ansicht ver- 
sahren, nichte Anderes als was etwa die Lassallianer wünschen. Diese haben, 
wie Sie dies von mehreren Selten aus den Nachrichten über die Wahlen 
wissen, erklärt, daß sie ein Parlament wünschen, welches ausschließlich aus 
Arbeitern bestehe. Man hat darüber gelacht, denn man hat gewußt, daß es 
unmöglich sei, dies zu erreichen, und daß also dieser Gegner nicht zu fllrch- 
ten sei. Warum würden Sie ein Parlament von Arbeitern sürchten? Doch 
nur deshalb, weil Sie nicht ausschließlich eine einzige Klasse in der gesetz- 
gebenden Versammlung haben wollen. Wollen Sie es dem Volke in seiner 
Mehrheit verargen, wenn es in gleicher Weise darum besorgt ist, daß diese 
Bersammlung bloß aus reichen Männern besteht, welche in ihrer Mehr- 
jzahl kein Verständniß haben werden für die bedeutendsten Fragen des Volks- 
lebens? Es ist aber noch eine andere sehr nachtheilige Folge zu bedenken. 
Sie werden, meine Herren, durch Streichung der Diäten in der That die 
Intelligenz ausschließen. Ich kann auf das, was eben der geehrte 
Borredner, der Herr Abgeordnete für Neustettin gesagt hat, „daß diese Be- 
fürchtung unbegründet sei und daß nur das Proletariat der Iutelllgenz ans- 
geschlossen werden würde,“ nur dies erwiedern: der sehr philosophische, in 
dieser Beziehung manchmal recht undeutliche Vorredner hätte noch andeuten 
müssen, was unter diesem Proletariate der Intelligenz zu verstehen sei. Das 
räume ich ihm ein, daß es ihm nicht eingesallen ist, dielenigen damit zu be- 
zeichnen, welche recht arm sind und keine Anstellung haben; aber er hat sagen 
wollen: Leute, die eine wirkliche entschiedene Leistung fUr das Vaterland ent- 
weder noch nicht geliesert haben, oder eine solche nicht liesern werden. Da 
will ich denn doch aber den Herrn Abgeordneten für Neustettin darauf auf- 
merksam machen, daß es Überhaupt recht schwer sein mag, die Zeitgenossen 
in richtiger Weise zu beurtheilen. Wir haben die Erfahrung der vergangenen 
Jahrhunderte und Jahrtausende vor uns. Die Zeit weiß oft nicht, wer 
das Solide und wer das Unsolide ausspricht. Sehen Sie auf unfre größten 
Dichter, unsre größten Denker, unfre größten Staatsökonomen! Wenn 
Sie sich fragen, ob die meisten unter ihnen so gestellt waren, daß sie im 
Stande wären, mehrere Jahre hintereinander Monate lang hier in der Re- 
sidenz getrennt von ihrer Familie und von ihrem Beruf zu leben, so wer- 
den Sie sich sagen müssen, daß man durch Ablehnung der Diäten die In- 
telligenz entschieden ausschließe. Ich gehe davon aus, daß man mit dem 
Auedruck Proletariat nur etwas hat sagen wollen; denn bewahrheiten und 
durch die Ersahrung begrlünden kann man das nicht. Im Gegenthell kann 
man annehmen, daß die meisten eminenten Männer Deutschlands mit Glücks- 
gütern nicht übermäßig ausgestattet waren. Die Folge der beabsichtigten 
Aueschließung würde sein, — was viele von Ihnen als Ruhm betrachten, — 
das Parlament würde, wie wir sehr oft gehört, „recht praktisch“ werden. 
Wir wissen sehr wohl, was mit diesem „praktisch“ gemelnt ist. Es soll 
heißen: nur Rücksicht nehmend auf eine kleine und enge Erfahrung, während 
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