Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

148 NReichstag. 
unter dem Richtig,Theoretischen das zu verstehen ist, was geschöpft ist aus 
einer weiten und großen Ersahrung. Für eine derartige practische Be- 
handlung des öffentlichen Lehens möchten wir uns im Ernste doch allesammt be- 
danken. Wenn Sie auf diese Weise, meine Herren, durch die Ablehnung 
der Diäten unser öffentliches Leben verderben, so werden Sie andererseits 
auch noch tiefer eingreifend verderblich wirkeu. Denn vergessen Sie das nicht: 
sobald Sie den Besitz eines Vermögens für etwas Nothwendiges erklären 
zur Wirksamkeit im öffentlichen Leben, so zerstören Sie auch das Leben von 
ungähligen edlen Gelehrten unseres Vaterlandes. Denn heutigen Tages sind 
eben unfre tüchtigsten und besten gelehrten Männer solche, die auf das Geld 
nichts geben und nichts geben wollen, die nur das Nothwendigste haben 
wollen; für Andres haben sie keine Zeit und wollen sie keine Zeit haben. 
Aber sobald Sie die Wirksamkeit im öffentlichen Leben vom Geld abhüngig 
machen, so zwingen Sie auch unsere besten Männer dazu, mehr zu erwerben, 
als sie sonst erwerben, als sie sonst erworben haben würden, um für das 
öffentliche Leben wirkfkam werden zu können; und so vergiften Sie unser 
Deutsches Leben dadurch. Ich behaupte also, meine Herren, daß Sie durch 
Streichung der Diäten die schmählichste aller Aristokratlen fördern werden, 
nämlich die Aristokratie des Geldes. (Heiterkeit.) Nun, meine Herren, ich 
bin demnach für das uns vorliegende Amendement. Ich will nur 
noch mit ein Paar Worten um Eins bitten. Wenn Sie das Amende- 
ment nicht annehmen wollten, dann streichen Sie doch wenigstens 
den Artikel 29; streichen Sie ihn ganz, lassen Sie die Frage unentschie- 
den! Sprechen Sie mit dem Artikel 29 nicht etwas aus, was in seinen 
Folgen sich als höchst unheilbringend zeigen wird. Denn, meine Herren, 
wozu ein Gesetz geben, das so leicht zu umgehen ist? Sie werden sagen, 
jedes Gesetz könne leicht umgangen werden — das ist eine Thatsache; aber 
die Sache ist hier die, daß es nicht die schlechtesten Leute wären, die Sie 
hier dazu reizen, das Gesetz zu umgehen, und das ist die Klippe, vor der 
ich Sie, meine gerhrten Herren, warnen möchte. Der Artikel 29 — darüber 
werden wir ja nicht im Zweifel sein können — ist nicht in Uebereinstim- 
mung mit unsern Sitten und mit der öffentlichen Meinung; aber unter den 
Gesetzen, welche eben in dieser Uebereinstimmung nicht sind, haben wir zwei 
sehr verschledene Klassen zu unterscheiden, nämlich diejenigen Gesetze, welche 
der Sitte und der öffentlichen Meinung voraus sind und gewissermaßen 
angiehend wirken sollen, und diejenigen Gesetze, die hinter der Sltte und 
der öffentlichen Meinung zorlck sind, die reactionair sind, die verderblich 
wirken, und für beide lassen Sie mich ein Beispiel bringen. Zu den erste- 
ren, zu denjenigen, welche anziehend wirken, rechne ich zum Beispiel zwei 
Gesetzgebungen aus dem Anfange dieses Jahrhunderts für Preußen: das 
Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht und das Gesetz Üüber den Schulzwang. 
Ganz bestimmt waren beide Gesetze nicht in Uebereinstimmung mit der da- 
maligen Sitte und nicht in Uebereinstimmung mit der damaligen öffentlichen
	        
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