Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artilel 32. Jungermaun. 165 
richter und von dem Kirchspielvorsteher an bis zum Parlamente hinauf. Bei 
uns fehlt das und das läßt sich nicht mit Einem Schlage herstellen. Wir 
würden daher hier in Deutschland die Zahl der zu wählenden 
Candidaten zu sehr beschränken, wenn wir jetzt die Diäten verweigern 
wollten. Meine Herren, ich betrachte dies in der That nicht als eine Partei- 
frage, ebenso wenig wie die Frage der Beomten. Unter den Be- 
amten hier im Hause find viel mehr auf der conservativen Seite als 
#aus der liberalen; trotdem würde ich den Ausschluß der Beamten für etwas 
gehalten haben, was die Physiognomie des Parlamentes zu seinem Nachtheil 
auf das Aeuberste verändern würde. Dagegen glaube ich das bei der 
Diätensrage viel weniger. Aber, meine Herren, gerade bei dem allge- 
meinen directen Wahlrecht wlirde es als ein Widerspruch und als eine Un- 
gerechtigkeit in den weitesten Kreisen des Volkes empfunden werden, wenn 
Sie neben dem unbeschränkten activen Wahlrecht für das passive Wahlrecht 
einen hohen Census einführen wollten, den Census, daß jeder zu Wählende 
im Sonde sein muß, mindestens eine Summe von etwa 300 Thalern für 
die parlamentarischen Angelegenheiten Ubrig zu haben. Das würde meines 
Erachtens für künftige Zeiten ein sehr großes Agitotionsmittel gegen elne 
ruhige Entwicklung unserer staatlichen Zustände werden können. (Sehr richtig!) 
Ich halte es in ausgeregten Zeiten für höchst ge fährlich, solche 
Mittel in die Hände der Agitation zu geben, und ich möchte des- 
halb namentlich die conservative Partei erinnern, daß sie nicht um augen- 
blicklicher Zweckmößigkeit willen, nicht wegen der Aussicht, für die nächsten 
imd nachnächsten Wahlen einige Chancen mehr zu haben, die Zukunft ge- 
fährde und nicht dazu beitrage, in aufgeregten Zelten die Gegensätze zu ver- 
schärfen, welche naturgemäß überall im Volke vorhanden sind. Der Besitz 
ist naturgemäß eine große soclale Macht; ich halte es für sehr gefährlich, 
die khatsächlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich durch rechtliche In- 
stitutionen zu verschärfen (Sehr richtig! links) — und dadurch einen Gegen- 
sotz hervorzurufen, der in gewöhnlichen Zeiten ungefährlich sein mag, in be- 
wegten Zeiten aber sehr gefährlich werden kann! (Lebhaftes Bravok 
linke.) 
JIunsermaun aus Cassel (Marburg-Frankenberg 2c.).“) Meine Herren! 
Ich acceptire zunächst das Wort meines Herrn Vorredners, daß die 
Frage, ob den Reichstagsabgeordneten Diäten zu zahlen seien, oder nicht, 
keine Parteifrage ist; es ist eine Geldfrage, es ist eine politische 
Frage, aber keine Parteifrage, und dieser Umstand mag es erklären, 
auch bei meinen politischen Freunden, wenn ich unmittelbar nach einem Mit- 
ellede meiner Partei fUr die Regierungsvorlage das Wort ergreife und nicht 
wie meine Parteigenossen in ihrer Mehrzahl gegen die Vorlage stimme. Meine 
% G.. Ber. S. 480.
	        
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