Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

10 Reichsiag. 
des Norddeutschen Bundes respective die Competenz der ganzen Bundesgesetz- 
gebung auf diejenigen Gebiete einzuschränken, die sie von vorn herein der 
Natur des Verfassungsentwurfs nach haben sollten, und zwar aus folgenden 
Gründen. Nach meiner Anschauung ist es die wesentliche Differenz 
des Volksstaates im Gegensatz zu dem Patrimonialstaate, daß in 
jenem der Volkskraft die Möglichkeit gegeben wird, unmittelbar dem 
Staate und seinen Zwecken zu dienen. Ich sage mit Vorbedacht „dienen“; 
denn für mich besteht der Inhalt eines politischen Rechts in der 
Möglichkeit, mit Selbstbestimmung die eigene Kraft für die 
Zwecke des Gemeinwesens einzusetzen. (Sehr gut! rechts.) Es 
besteht für mich der Inhalt des politischen Rechts in der Befugniß, 
die politische Pflicht zu erfüllen. (Sehr gut! rechts.) Gehe ich aber 
davon aus, so muß ich jedesmal, wenn ich ein politisches Recht constituire, 
mir die Frage vorlegen: Sind die Schultern, welche dieses politische Recht 
tragen sollen, auch stark genug? Ist der Fackor, dem ich dieses politische 
Recht einräume, auch geeignet oder wenigstens in dem Moment geeiguet, die 
den Inhalt dieses politischen Rechts bildende Pflicht zu erfÜllen? Gerade 
von diesem Gesichtspunkte aus habe ich, und wie ich glaube, auch einige 
meiner politischen Freunde, — obwohl wir den Vorwurf nicht verdienen, 
daß wir den Werth jener staatsbürgerlichen Rechte, welche der gesetzgeberischen 
Thätigkeit des Norddeutschen Bundes vorläufig entzogen sind, unterschätzen, 
obwohl wir den Werth dieser Rechte sehr wohl kennen, — wir haben uns 
dennoch entschieden dagegen aussprechen müssen, diese Rechte in die Compe- 
tenz des Bundes hineinzuzliehen, weil wir von dem Grundsatze ausgingen, 
daß der Factor, der diese Rechte zu verwirklichen habe, zunächst der Reichs- 
tag sei und weiterhin die Wählerschaft, welche den Reichstag aus sich 
entspringen läht, und daß es im gegenwärtigen Momente nicht wüinschens- 
werkh, nlcht politisch unöglich erscheine, dieser Wählerschast die Pflicht auf- 
zuerlegen — ich gebrauche wiederum sehr absichtlich das Wort „Pflicht" — 
die Pflicht auszuerlegen, ihre Thätigkeit auf das ganze Gebiet aller 
politischen Rechte auszudehnen. Ich würde darin, meine Herren, 
eine Ueber bürdung erkannt haben. Aus Ueberbürdung folgt aber noth- 
wendig Schwäche, und gerade weil ich es für eine sehr wesentliche und 
hauptsächliche Aufgabe des Verfassunggebens halte, die politischen Rechte, 
die man ertheilt, so zu geben, daß sie mit voller Krast ausgeilbt werden 
können; gerade darum glaubte ich mit Rücksicht auf den Inhalt 
des Artikel 21 die Competenz der Bundesgesetzgebung sehr 
wesentlich ein schränken zu müssen. Es wirkte dazu noch ein zwei- 
tes Moment, das gestern der verehrte Abgeordnete für Elberfeld ganz in 
meinem Sinne angedeutet hat. Meine Herren, ich betrachte den Bau, 
den wir gegenwärtig hier vorhaben, — um mich eines Beifpiels zu be- 
dienen, das gewissermaßen zum terminus technicus der hohen Versammlung 
geworden ist, — nicht als ein Haus, welches wir neben den Particular
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.