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des Norddeutschen Bundes respective die Competenz der ganzen Bundesgesetz-
gebung auf diejenigen Gebiete einzuschränken, die sie von vorn herein der
Natur des Verfassungsentwurfs nach haben sollten, und zwar aus folgenden
Gründen. Nach meiner Anschauung ist es die wesentliche Differenz
des Volksstaates im Gegensatz zu dem Patrimonialstaate, daß in
jenem der Volkskraft die Möglichkeit gegeben wird, unmittelbar dem
Staate und seinen Zwecken zu dienen. Ich sage mit Vorbedacht „dienen“;
denn für mich besteht der Inhalt eines politischen Rechts in der
Möglichkeit, mit Selbstbestimmung die eigene Kraft für die
Zwecke des Gemeinwesens einzusetzen. (Sehr gut! rechts.) Es
besteht für mich der Inhalt des politischen Rechts in der Befugniß,
die politische Pflicht zu erfüllen. (Sehr gut! rechts.) Gehe ich aber
davon aus, so muß ich jedesmal, wenn ich ein politisches Recht constituire,
mir die Frage vorlegen: Sind die Schultern, welche dieses politische Recht
tragen sollen, auch stark genug? Ist der Fackor, dem ich dieses politische
Recht einräume, auch geeignet oder wenigstens in dem Moment geeiguet, die
den Inhalt dieses politischen Rechts bildende Pflicht zu erfÜllen? Gerade
von diesem Gesichtspunkte aus habe ich, und wie ich glaube, auch einige
meiner politischen Freunde, — obwohl wir den Vorwurf nicht verdienen,
daß wir den Werth jener staatsbürgerlichen Rechte, welche der gesetzgeberischen
Thätigkeit des Norddeutschen Bundes vorläufig entzogen sind, unterschätzen,
obwohl wir den Werth dieser Rechte sehr wohl kennen, — wir haben uns
dennoch entschieden dagegen aussprechen müssen, diese Rechte in die Compe-
tenz des Bundes hineinzuzliehen, weil wir von dem Grundsatze ausgingen,
daß der Factor, der diese Rechte zu verwirklichen habe, zunächst der Reichs-
tag sei und weiterhin die Wählerschaft, welche den Reichstag aus sich
entspringen läht, und daß es im gegenwärtigen Momente nicht wüinschens-
werkh, nlcht politisch unöglich erscheine, dieser Wählerschast die Pflicht auf-
zuerlegen — ich gebrauche wiederum sehr absichtlich das Wort „Pflicht" —
die Pflicht auszuerlegen, ihre Thätigkeit auf das ganze Gebiet aller
politischen Rechte auszudehnen. Ich würde darin, meine Herren,
eine Ueber bürdung erkannt haben. Aus Ueberbürdung folgt aber noth-
wendig Schwäche, und gerade weil ich es für eine sehr wesentliche und
hauptsächliche Aufgabe des Verfassunggebens halte, die politischen Rechte,
die man ertheilt, so zu geben, daß sie mit voller Krast ausgeilbt werden
können; gerade darum glaubte ich mit Rücksicht auf den Inhalt
des Artikel 21 die Competenz der Bundesgesetzgebung sehr
wesentlich ein schränken zu müssen. Es wirkte dazu noch ein zwei-
tes Moment, das gestern der verehrte Abgeordnete für Elberfeld ganz in
meinem Sinne angedeutet hat. Meine Herren, ich betrachte den Bau,
den wir gegenwärtig hier vorhaben, — um mich eines Beifpiels zu be-
dienen, das gewissermaßen zum terminus technicus der hohen Versammlung
geworden ist, — nicht als ein Haus, welches wir neben den Particular