Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

358 Bundeskriegswesen. 
in Folge der Zweifel an der Legalität Jahre hindurch verlebt haben. Meine 
Herren! Eine große Armee, wie die für Preußen im Jahre 1860 erschaffene, 
wie die jetzt für den Norddeutschen Bund proponirte und von der Regierung 
verlangte, ist sreilich keine leichte Last für das Budget, lst freilich keine leichte 
Last für die ökonomischen und wirthschaftlichen Zustände des Landes. Aber 
wir wissen Alle, daß, wenn aus Gründen solcher Sparsamkeit zu viel ge- 
than, wenn aus Gründen blonomischer Rücksicht die Wehrfähiglkeit des Lan- 
des eingeschränkt wird, dann in einem einzigen unglücklichen Feldzuge die 
Früchte eines ganzen Jahrzehnts mit einem Schlage verloren gehen können; 
und so sicher wie Jeder von uns sagen wird: „Keinen Mann zu viel 
über das militairische Bedürfniß hinaus“, ebeuso sicher denke ich wird auch 
Jeder von uns sagen: „Keinen Mann zu wenig für dieses militairische 
Bedürfniß“. Ich denke, die große Thatsache, welche es für uns absolut un- 
möglich macht, jetzt schon eintreten zu lassen, was der Herr Abgeordnete 
Waldeck in seinem letzten Vortrage als die höchst berechtigte und unerlößliche 
Consequenz der bisherigen Erfolge des Deutschen Einheitswerkes bezeichnete, 
jetzt schon die Hoffnung zu realisiren, die wir freilich Alle an die Vollendung 
des Deutschen Einheitswerkes geknüpft haben, diese Thatsache, meine ich, liegt 
klar genug vor unser Aller Augen. Die Deutsche Einheit ist begonnen 
worden, die Deutsche Einheit ist aber nicht vollendet. Wenn ich hier von 
Deutscher Einheit rede, so will ich damit durchaus nicht vorgreifen der Frage 
vom Bundesstaat und Einheitsstaat, so habe ich nur im Auge die einheit- 
liche verfassungsmäßige Organisirung des gesammten Deutschlands. Meine 
Herren, ehe dieses Werk überhaupt von Preußen in die Hand genommen 
war, da konnte Preußen mit einem Friedenspräsenzstand von 130,000 Mann 
Jahre lang auskommen. Damals drückte uns selbst dieser verhältnißmäßig 
niedrige Präsengstand, nachdem das Land durch die colossalen Opfer und An- 
strengungen der Napoleonischen Kriege bis auf einen tiesen Grad der Er- 
schöpfung heruntergekommen war. Er dünkt uns jetzt besonders im Ver- 
gleich zu dem, was die letzten Decennien an militairischen Leistungen dem 
Prrußischen Staate auferlegt haben, als ein Minimalmaß, und allerdings nach 
damaligen Verhältnissen war dieses Minimalmaß auch in politischer und 
militairischer Beziehung wenigstens möglich, weil sich Preußen damals ein 
für allemal in die Rolle des unverbrüchlichen Schildknappen der Oester- 
reichischen Politik gefunden hatte. Preußen hatte sich dahin beschieden, die 
Anerkennung und Sicherung seiner Deutschen Stellung zu bezahlen mit einem 
Verzicht auf eine selbstständige auswärtige Politik, mit der ein für allemal 
sicheren Unterstützung der Oesterreichischen Politik in Europa, und beide 
Mächte zusammen, auf diese Art unverbrüchlich verbunden, konnten dann 
eine jede für sich mit nach heutigen Begriffen höchst bescheidenen militairischen 
Leistungen sich behelfen: Preußen mit einem Friedeusheer von 130,000, Oester= 
reich mit einem Friedensheer von 150,000 Mann. Auf diesem Fuße wurde 
dann die idyllische, ruhige, für viele Geister erheblich zu ruhige Zeit der
	        
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