Artikel 60. Sybea. 359
Restaurationsjahre so leidlich durchlebt. Da Preußen und Oesterreich zu-
sammenhielten, da in Folge dessen die übrigen Deutschen Staaten ebensalls
in demselben Geleise mitgingen, so war das Auslaud denn doch der Meinung,
es nicht auf eine scharfe Provocakion so bedeutender Kräfte von 70 Millio-
nen ankommen zu lassen. Man ließ uns am eignen Heerd in Ruhe, immer
unter der Voraussetzung, daß wir nirgendwo Veranstaltung machten, von die-
sen elgenen Heerde hinweg einen Zug in die Fernc, ein kriegerisches Aben-
teuer, wie es neulich der verehrte Herr Abgeordnete von Falckenstein hier
ausdrückte, zu unternehmen. Es war der Militairstaat Friedrichs des
Großen in diesem Zusammenhang in die Stellung einer sparsamen, fried-
fertigen, anspruchslosen Großmacht zweiter Klasse heruntergekommen, die
Europäische Politik, die von dieser Deutschen Gruppe mit ihren militairischen
Kräften gemacht wurde, war denn auch nach allen Seiten hin eine bescheidene.
Es ist nothwendig nach den Erörterungen, die neulich hier Über Luxemburg
vorgekommen sind, daran zu eriunern, daß dieser 70-Millionen-Bund fast
ohne ein Wort des Widerspruchs, wenigstens ohne eine That des Wider-
standes die Hälfte dieses Großherzogthums dahinschwinden, und sich mit einer
kümmerlichen, ja in mancher Beziehung schädlichen Compensation begnügen
ließ. (Sehr wahr!) Meine Herren, ein solcher Zustand hatte also seine
Schattenseiten, er hatte demnach auch seine Lichtseiten. Man kam aus mit
einer leidlichen, friedfertigen Existenz. In dieses Stillleben riß aber ein für
allemal die entscheidende Lücke der Ruf der Deutschen Nation nach ihrem
Einheitswerke, dieser im Wesentlichen von der liberalen Partei zuerst erhobene
Ruf. Als dieses Einheitswerk in Fluß kam, war es vorbei mit dem sanft-
müthigen Zusammenleben Preußens und Oesterreichs. Als Preuben das
Deutsche Einheitswerk in die Hand nahm, war der Bruch mit Oesterreich
nach der Natur der Dinge unerläßlich und nicht zurlckzuweisen. Wir haben
diesen Proceß nach langjährigen Schwankungen vor unsern Augen beginnen
und durch Europa seine Evolutionen vollziehen sehen. Meine Herren, wie
stehen wir jetzt, nachdem Oesterreich aus dem Bunde ausgeschieden ist? Jetzt
liegt auf Preußen und seinen Norddeutschen Verblindeten die Gesammtsumme
der militairischen Aufgabe, in welche in der Restaurationsperiode Preußen
und Oesterreich sich getheilt hatten; und mehr, wenn damals Oesterreich als
unser unverbrüchlicher Alliurter erachtet wurde, so haben wir jetzt, ich will
nicht sagen, die Sicherheit, ober wir haben wenigstens die Möglichkeit in
dichtester Nähe, daß bei jedem sonstigen feindlichen Conflict, in den wir ge-
rathen, Oesterreich sich nicht auf unserer, sondern auf Seiten des Geg-
ners befinden kann. Das macht eine Differenz von mehreren Hundert-
tausend Streitern im Vergleich des jetzigen und des früheren Zustandes. Für
diese Differenz hat der Norddeutsche Bund mit seinen eigenen Kräften ein-
zustehen, für diese Differenz hat er einzustehen, so lange er existirt, d. h. so
lange er Norddeutschlond allein ist, so lange er nicht seine Expansionskraft
über sämmtliche Deutsche Territorien erstreckt, so lange er nicht in seiner