Artikel 62. Wagener. 401
Ich bin sehr begierig, außer dem Kopfschütteln auch noch andere Gründe zu
hören, die diese Behauptungen zu widerlegen geeignet find. Meine Herren,
Sie haben uns gestern mit eiuer gewissen patriotischen Besriedigung den Ge-
danken ausgesprochen: Wir wollen jetzt in Anerkenntniß der großen Thaten
der Preuhischen Armee, der unbedingten und vollen Bewährung der Reor-
ganisation, — wir wollen die Neorganisatlon jetzt nicht weiter bemängeln, son-
dern wir wollen dieselbe jeht ohne Rückhalt und unverholen anerkennen.
Meine Herren, das klingt sehr schön, es klingt aber auch nur so. Ich lege
auf die Anerkennung der Neorpganisation meinerseits nicht den mindesten
Werth, wenn man sich gleichzeitig die Waffe fertig macht und in die Hand
nimmt, mit der man von dieser Anerkenntniß und Bewilligung wieder her-
unter kann, und mit der man zunächst die Regierungen zu alleu möglichen
Zugestäadnissen auch auf diesem Gebiete zu zwingen im Stand ist. (Sehr
richtig! rechts.) Meine Herren, was bedeutet denn die Anerkenntuiß der
Reorganisation noch, wenn demnächst beschlossen wird, es werden vom 1. Jannar
1872 an nicht mehr ein Procent sondern uur noch ein halbes Procent der
Geoölkerung bewilligt und es werden von da ab nicht mehr 225 Thaler,
sondern um noch 112 Thaler 15 Silbergroschen gezahlt? Meine Herren!
Construiren Sie mir einmal danach eine reorganisirte Armee und sagen Sie
mir dann, ob es wirlklich noch ernstlich zu verstehen ist und von uns
ernstlich behandelt werden darf, wenn Sie von einer Anerkenntniß der Heeres-
organisation sprechen und dabei gleichzeitig die Besugniß sich vorbehalten, sich
von allen Schranken und Grundlagen des Preußischen Budgetrechts, von
allen denjenigen Basen zu emancipiren, auf denen bieher die Preußische Armee
geruht hat. (Bravo! rechts.) Meine Herren! Es ist deshalb eine durchans
unrichtige Behauptung, wenn die Herren von jener Seite ausgesprochen haben,
wir wollen den militairischen Conflict schließen, ja, wir glauben ihn mit der
Aurkenntniß der Reorganisation geschlossen zu haben. Meine Herren, der
Militairconflict, den Sie sich mit Ihren Ameudemeuts wieder großzüchten,
hat noch ein ganz anderes und ernsthafteres Gesicht als der, den wir glück-
lich zu Grabe getragen haben. Weun dieser Militairconflict demnächst im
Jahre 1872 in Scene gesetzt werden wird, dann haudelt es sich nicht mehr
um Details, nicht mehr um die Stärke der Bataillone, nicht mehr um ein-
zelne Schwadronen, sondern dann handelt cs sich um die Frage, wer fortan
über die Preußische Armee disponiren soll, der König oder das Parlament.
(Große Unruhe links. Beisall rechts.) Denn, meine Herren, die von allen
Schranken besreite und von allen Grundlagen losgelöste Bewilligung des
Militairetats ist eben das Seitenstück der Englischen Meuterei. Bill und die
Englische Menterei-Bill ist weiter nichts als der Ausdruck der geschichtlichen
Thatsache und des staatsrechtlichen Gedankens, daß in England eben nicht der
König, sondern das Parlament über die Armee disponirt. Diese Grenzen
möchte ich meinerseits für mein engeres Vaterland nicht überschrelten, auch
wenn ich damit einen noch größeren Bund gewinnen könnte, als den Nord-
Naterlalien. 11. 26