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zugleich der Auedruck einer gewissen Zaghaftigkeit. Mir ist es unzweifelhaft,
daß nicht blos in der Form einseitiger Budgetbeschlüsse, daß gerade in der
regelrechten Form von Gesetzgebung eine künftige Deutsche Volksvertretung
vollkommen die Macht haben wird, die Herabsetzung der Militäretats durch
gesetzliche zusammenhängende Mabregeln herbeizuführen, wenn die Zeit dazu
gekommen ist. Die materiellen Interessen, die ungeheure Wucht dieser Inter-
essen, welche die Gegenwart zu tragen hat, drängt in ganz Enropa einstim-
mig und stetig auf eine Reduction der stehenden Armeen. Diese Wucht der
Interessen verdoppelt sich in Deutschland, wo die schwere Last der perfön-
lichen Wehrpflicht die Abkürzung der Dienstzeit zu dem gemeinsamen Interesse
aller Klassen, der obersten wie der untersten, machen. Diese Wucht verdoppelt
sich auch in dem Deutschen Bundesrathe. Denn dessen können wir sicher
sein: von dem Momente dieser Versassung an wird es keinen treueren Bun-
desgenossen für den Reichstag geben, um ein ermäßigtes Heeresbudget und
einen ermäßigten Heeresstand herbeizuführen, als die kleineren Regierungen
Deutschlands ohne Ausnahme. Wenn man diese Potenzen für selnen An-
theil an der Gesetzgebung in der Hand hat, dann sollte man nicht ängstlich
nach dem angeblich verlorenen Budgetrecht fragen. Wenn man bberhaupt
vertraut, daß die Deutsche Volksvertretung die moralische und intellectuelle
Capacität haben wird, die großen Verhältnisse des Vaterlandes künftig durch
Gesetze zu ordnen, so muß man auch das Vertrauen haben, daß die mora-
lische und intellectuelle Kraft der Volksvertretung stark genug sein wird, durch
zusammenhängende gesetzliche Maßregeln eine Correctur herbeizuführen, soweit
dieses gesetzliche Mah unsere Kräfte übersteigt. Von diesem Standpunkte aus
— mit rückhaltsloser Anerkennung, daß die Etatzahl eine gesetzliche ist, —
bekämpfe ich nun aber den Antipoden. Der Gegenfüßler jener Ideen, die
immer noch eine Budgekbeschliehung zur Reducirung der Armee retten wollen,
ist die Gegenmeinung: den Reichstag von einer sachlichen Berathung des
ganzen Militärbudgets kurzweg auszuschließen, und an diesem allerwesentlichsten
Punkt die Theilnahme der Volksvertretung zu annulliren. Ich glaube mich
nicht zu irren: die ganze Idee ist nur hervorgegangen aus der Furcht vor
einem militärischen Hinterhalt im Staatshaushalt. Wäre dieser Hinterhalt
nicht geflrchtet, so glaube ich, wäre die Königlich Prenßische Regierung schwer-
lich auf Borschläge gekommen, die unseren deutschen Verhältnissen so gänz-
lich fremd sind. Es ist die Idee, durch ein Panschquantum für alle Zeiten
hlnaus eine absolute, oder wenigstens eine Minimalzahl der Armeebedlirfnisse
festzustellen. Man konn das verschieden benennen, verschieden beschreiben,
man kann auch zum Troste hinzufügen, es solle jedenfalls noch mehr ge-
fordert werden, als diese 225 Thaler pro Kopf, aber, meine Herren, die
Sache bleibt wesentlich dieselbe: Es ist und bleibt das Entreprisesystem der
Belgischen Armee. Daraus folgere ich prima facie, dab es alle Wahrschein-
lichkeit für sich hat, nicht zu passen für eine Preußische Armer. Was für
cine kleine Conscriptionsarmee eines solchen Staates paßt, das wird nicht