Artikel 72. 73. Gerber. 559
der Formulirung in der Preuhischen Verfassung zusammen, näm-
lich damit, daß dort die Verelnbarung und Verabschiedung des Etats als
eine Sache der „Gesetzgebung“ ausgefaßt wird. Das ist der eigentliche
Grund! Ich will nicht wiederholen, was mein verehrter Freund, der Ab-
gzeorbnete Dr. Friedenthal, gesagt hat, daß die Verabschiedung des Etats
überhaupt nicht Sache der Gesetzgebung, sondern, wenn auch immer-
hin beide legislative Factoren zusammenwirken, wesentlich Sache der Ver-
waltung ist. Ich habe bisher geglaubt, daß die Formulirung in der Preußl-
schen Verfassung nur etwas Formelles sei, muß aber allerdings zugchen, daß,
wenn man mehr darin findet, als eine Form, wenn man wirklich die Verab-
schicdung des Etats zur Sache der Gesetzgebung auch materiell macht, dann
freilich die Wirkungen zu erwarten und voraus zu sehen sind, die der Herr
Staateminister von Friesen vorher in Aussicht gestellt hat. Meine Herren, eine
andere Bemerkung habe ich noch machen wollen, auf die ich ein gröhrres Gewicht
lege. Es ist folgende: Wir haben in unserm Amendement zu Artikel 65 d. E.“)
und zwar in unserer 2. Alinea — wenn ich einen Augenblick hierauf zurückgreifen
darf — einen Satz vorgeschlagen, welcher voraussetzt, dah der Bundeskriegs-=
etat in einem Ordinariumgesetzlich festgestellt wird, und ich habe mich
mit zwei Worten darüber zu erklären, daß auch diese Formulirung nach
meiner Ueberzeugung dem wirklich constitutionellen Budgetrechte
wohl entspricht. Sie wissen, meine Herren, daß über die Natur des
Budgetrechts und seinen materiellen Inhalt eine schr große Verschiedenheit
der Meinung besteht. Im Wesentlichen läßt sich diese Berschiedenheit auf
solgende beiden Gegensätze zurückführen. Die eine Ansicht geht dahln, daß
das constitutionelle Budgetrecht bestehe in der Befugniß der Volkevertretung,
periodisch die Ansätze des Staatshaushalts einer öffentlichen Controle zu
unterziehen, zu prl#fen, ob diese Ansätze den bestehenden Gesetzen, den gesetz-
lichen Einrichtungen, den Nothwendigkeiten und Nutzlichkeiten des Staates
entsprechen, und in dieser Richtung in einer tiefgreifenden Einwirkung mit
der Regierung den Staatshaushalt zu reguliren. Eine andere Anslcht ist
folgende. Das Recht des Budgets sel ein Recht der parlamentarischen
Macht, ein Recht des Parlaments, dadurch, daß man periodisch die sämmt-
lichen Staatsinstitutionen in Frage ziehen könne, eine politische Einwlrkung.
zu äußern und gegeuliber der Regierung die Stellung des Parlaments in
seiner ganzen Machtsülle zur Geltung zu bringen. Diese Ansicht, meine
Herren, welche das Budgetrecht von seiner eigentlichen Basis,
nämlich dem Gebiete der Fin an zver waltung und der Staatswirth-
schaft entfernt und auf eine völlig andere, auf eine reine poli-
tische Basis hinstellt, ist bei weitem am meisten verbreitet. Es
ist die Ansicht, welche in der allgemeinen liberalen Theorie des Constitutio-
nalismus — man kann wohl sagen fast ausnahmslos — herrschend ist,
so schr, daß man hört, in ihr ruhe der ganze Constitutionalismus,
Amendement Friedeathal (Dr.-S. n. 89) f. oben S. 512 Ziff. 1.