Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band II (2)

Artikel 20. 21. Spybel. 47 
Masse der Nation gerade durch das allgemelne Wahlrecht erziehend weiter 
bringen. Nun, meine Herren, wenn wir heute, nach siebzehnjährlgem Be- 
stande jener Versassung, fragen, wie weit die politische Erziehung 
der Französilschen Volksmassen unter diesem Regime gekommen 
ist, so glaube ich, wird kein Mensch ein Resultat ziehen, welches und 
irgendwie ermuthigen könnte, auf diesen Weg uns einzulassen, auf diese 
Bahn unsere Hoffnung für eine glückliche politische Zukunft zu setzen. Meine 
Heren! Der Herr Abgeordnete Wagener hat uns vorhin bereits er- 
örtert, daß wir in Preußen das allgemeine Stimmrecht ja schon 
lange besäßen. Das ist gauz richtig. Was wir nicht besessen haben 
war das gleiche Stimmrecht und waren die dlrecten Wahlen. Das gleiche 
Stimmrecht — so wurde vorhin von einigen Neduern gesugt — wird man 
nicht wieder los, wenn man es einmal gehabt hat. Meine Herren, die histo- 
rische Erfahrung namentlich hier in Preußen wider spricht diesem 
Satze vollkommen. Das allgemeine und gleiche Stimmrecht hat 
hier in Preußen mehr als ein Jahr bestanden und ist im Jahre 
1850 beseltigt worden, ohne daß eine Erschütterung davon die 
Folge gewesen Ist. Wir sind hler in dem Falle, ein neues Staats- 
wesen zu gründen, die Gründung ist begounen worden nicht auf dem ein- 
sochen legalen Wege, wie er sonst wohl in sriedlichen Zuständen möglich ist, 
es ist ein plötzlicher rascher Bruch mit den alten Bundeszustän- 
den gemacht worden. In solchen Ver hältnissen ist es einigermaßen 
begr eislich, daß man an das allgemelne Stimmrecht in seiner 
schärfsten Ausprägung, in seiner weitesten Wirksamkeit appellirt; 
aber aus diesem Verhältnisse nun den Schluß zu ziehen, es müsse für die 
sernere legislative Versammlung des Norddeutschen Bundes 
dasselbe System fortgeführt werden, es müsse durch dieses System der 
Rorddeutsche Bund an einer seiner wichtigsten Stellen aus den Boben der 
Französischen Staatszustände gesetzt werden, dazu, meine Herren, ver- 
mag ich keinen Grund zu entdecken. Der Herr Abgeordnete für 
Neustettin äußerte sich in besouders ungnädiger Stlmmung 
gegen das indirecte Wahlversahren. Meine Herren, ich glaube, daß 
indirectes und directes Wahlversahren je nach den Umständen Resultate 
guter oder schlechter Art erzielen kann, wenn ich mir aber die allgemeine 
Tendenz dieser Institution vergegenwärtige, so scheint mir das directe Wahl- 
versahren, namentlich bel weit ausgedehntem Stimmrechte, unausbleiblich die 
Tendenz zu haben, Appellation an die Leidenschasten und Abwesenheit ver- 
ständiger Discussion herbelzuführen, während das indirecte Wahlverfahren 
nothwendig die umgekehrte Richtung entwickeln muß. Das directe Wahl- 
derfahren bei großen Massen ist der Tod der Selbstständigkeit 
in dem politischen Leben; es eröffnet jeder Beeinflussung Thor und Thür, 
und, meine Herren, wie soll man sich denn die Abwesenheit der Beein- 
flussung denken, wenn man eine Bevölkerung legaler Weise für eine Masse
	        
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